CD Kritik Progressive Newsletter Nr.41 (09/2002)

Gratto - Anakin Tumnus
(36:26, PMM, 2002)

Es ist schön, wenn man im kleinen, aber doch weltweit verstreuten Underground Zirkel des Progressive Rock immer wieder auf bekannte Namen stößt. In diesem Falle heißt derjenige Chris Rodler, ein Name der höchstens bei gewieften Insidern einen Aha-Effekt auslöst, der jedoch über die Jahre mit seinen diversen Bands und Projekten mehrfach für Aufsehen sorgte und ebenso im Progressive Newsletter immer wieder seinen Platz fand. Unter anderem steckt er hinter den Bands Leger De Main, RH Factor und Andeavor, hat aber auch anderen Interpreten (z.B. den amerikanischen Quest) mit seinem Label Progressive Music Management eine Vertriebsplattform geboten. Sein aktuelles Projekt heißt Gratto (benannt nach dem Sänger und Keyboarder der Band) und schlummerte seit rund 5 Jahren in den Archiven. Als Chris jedoch bei Aufräumarbeiten im eigenen Studio letztes Jahr auf ein altes DAT mit den Aufnahmen dieser Mini CD stieß, reifte ihn ihm der Entschluss diese doch noch zu veröffentlichen. Schlicht, ohne jegliches Cover und Booklet, dafür aber mit einer ausführlichen Biografie und den Texten, kann man diese CD für lachhafte 5(!)$ bestellen. Entweder über die Website oder unter der Adresse von PMM (Progressive Music Management, 6802 Helena Drive, Erie PA 16510, USA). Trotz des wahrhaft unglaublichen Preises bekommt man keineswegs Ramsch oder Ausschuss, sondern diese gerade mal 36 Minuten lange CD bietet komplexen Progressive Rock vom Feinsten. Das Zusammenspiel des Quartetts an Klavier / Gesang, Gitarre, Bass und Schlagzeug kommt sehr abwechslungsreich daher, reicht von eher ruhigen Passagen in denen allein die Stimme und Klavierbegleitung im Vordergrund steht bis hin zu sehr kraftvollen, härteren Parts. Neben dem dominanten Klavier, dass dem Album einen ganz eigenen Grundklang gibt, nimmt vor allem die Gitarre in abwechselnden Sounds eine bedeutende Rolle ein. Das stilistische Spektrum reicht von dramatischen, sinfonischen Bombast bis hin zu komplexen, härteren Progressive Rock, bei dem es die Musiker nicht zum alleinigen Selbstzweck krachen lassen. Der Gesang von Gratto schwankt dementsprechend von sanften Flüstern bis hin zu aggressiven Hinausstoßen der Worte, mit der ganzen Palette dazwischen. Die drei Songs haben keineswegs eine "normalen" Aufbau, der irgendwann in einem hymnischen Chorus gipfelt, sondern sehr sprunghaft, zerfahren, fast schon abgehackt wird zwischen den Einzelteilen hin- und hergesprungen. Dabei wirken die Titel aber keineswegs wie Stückwerk, sondern geben ein geschlossenes, wenn auch nicht immer harmonisches Gesamtbild ab. Als Einflüsse führt die Band Jethro Tull (leider keinen Anhaltspunkt auf der CD gefunden, am ehesten noch in einen wenigen folkigeren Momenten vergleichbar), Rush (Frühphase der Band mit harten Gitarrenparts und progressiven Hard Rock Elementen), King Crimson (komplexere Wechsel und düstere Stimmung), sowie Yes (sinfonische, orchestrale Note) an. Für den bereits oben erwähnten Preis ein absolutes Schnäppchen aus der Sparte "so günstig wird's nie wieder", welches aber keineswegs nur wegen dem Preis, sondern auch der sehr abwechslungsreichen, wenn auch nicht gerade zugänglichen Musik überzeugen kann.

Kristian Selm



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