CD Kritik Progressive Newsletter Nr.54 (01/2006)
Anekdoten - Waking the dead, Live in Japan 2005
(78:56, Disk Union, 2005)
Es hat sich schon fast als Tradition eingebürgert, dass Anekdoten zwischen ihren Studioalben immer wieder Liveaufnahmen veröffentlichen, die bisher allesamt ausschließlich über ihren japanischen Labelpartner Arceàngelo / Disk Union vertrieben werden. Nach der "Live EP" (1997) und dem Doppelalbum "Live in Japan - Official Bootleg" (1998) bedeutet dies, dass man auch für das in diesem Frühjahr während zweier Konzerte in Tokio mitgeschnittene "Waking the dead" wieder mal tief in den Geldbeutel greifen muss. Doch für wen macht dieses Livealbum zum erhöhten Japanpreis überhaupt Sinn? Nachdem sich das schwedische Quartett mit ihrem letzten Studioalbum "Gravity" noch weiter von den crimsonesken Retro Prog Wurzeln entfernte und deutlich mehr im düsteren Alternative Rock Bereich wilderte, fielen die Reaktionen bei den bisherigen Fans bezüglich der stilistischen Umorientierung eher zwiespältig bis zurückhaltend aus. Damit es keine Überschneidungen mit den bisherigen Livealben gibt, konzentrieren sich Anekdoten auf "Waking the dead" nun genau auf dieses Album, sowie den 99er Vorgänger "From within". Spielerisch und von der Soundqualität gibt's da gar nichts zu meckern, auch ergänzen sich die wunderbaren Mellotronteppiche, die trägen Stimmungen bestens mit dem mehr gitarrenorientierten Sound der Schweden, doch die Magie früherer Tage wird eben nicht mehr ganz in der gewohnten Intensität heraufbeschworen. Damit hier kein falsches Bild entsteht: ich bin immer noch ein Fan der Band, kann auch bestens mit ihrer Neuausrichtung leben, aber bei den Titeln neueren Datums will in manchen Momenten einfach nicht der vielzitierte Funke überspringen. Von der Interpretation orientieren sich Anekdoten mehr oder weniger an den Studioversionen, dennoch sorgen kleinere Veränderungen in den Instrumentalpassagen, sowie der leicht angekratzte Livesound der Band für wesentliche hypnotisch-psychedelische Spannungen, setzen besonders die repetitiven Spannungsmomente neue Schwerpunkte. Mit der massiven Mellotron-Improvisation "Moons of Mars" (gespielt auf drei Mellotronen(!)), welches "The sun absolute" einleitet, sowie dem Instrumental "This too will pass" ist zudem auch bisher komplett unveröffentlichtes Material enthalten. Dabei setzt letzteres vermehrt auf Atmosphäre und langsame Steigerungen, vermittelt einen schon fast meditativen Post Rock Charakter. Mit dem bisher nur auf der Japanversion vom Debüt "Vemod" erhältlichen "Sad rain" bekommt man weiterhin einen Track aus den Anfangstagen präsentiert, der noch wesentlich mehr in der melancholischen Prog-Tradition verwurzelt ist. Anekdoten gehen konsequent ihren eigenen Weg zwischen Prog und Alternative Rock weiter und haben dafür eine eigenständige Interpretationsform gefunden. Mit "Waking the dead" werden jedoch vor allem zahlungskräftige Fans der Anekdoten Musik neueren Datums angesprochen. Eine Vinyl Ausgabe des Albums ist übrigens ebenfalls erhältlich.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2006