CD Kritik Progressive Newsletter Nr.46 (10/2003)
Thieves' Kitchen - Shibboleth
(66:21,Privatpressung, 2003)
Echt erstaunlich, wie sich Thieves' Kitchen inzwischen weiterentwickelt haben und das in nur knapp drei Jahren. Vom Neo Prog Einfluss des guten Debüts "Head" ist inzwischen rein gar nichts mehr übrig geblieben bzw. inhaltlich zu hören. Der Weg, der bereits auf dem zweiten Album "Argot" mit wesentlich jazzigeren, Fusion-lastigen Strukturen vorgezeichnet war, ist auf "Shibboleth" noch konsequenter beschritten worden. Auf Prog Einfluss wird dennoch keineswegs verzichtet, besonders Keyboarder Wolfgang Kindl greift in Sounds (Mellotron, Hammond) und Spielweise vermehrt in proggige 70er Trickkiste zurück. Viele der langgedehnten Instrumentalexkursionen kommen eindeutig aus der Art / Progressive Rock Schiene. Gitarrist Phil Mercy setzt mit seinem angejazzten an einen gemäßigten Allan Holdsworth erinnernden Spiel dafür einen ganz anderen Schwerpunkt. Der deutlichste Wechsel ist jedoch beim Gesang zu verzeichnen. Neuzugang Amy Darby verstärkt mit ihrem Stil zusätzlich den jazzigen Unterton. Vom inneren Zusammenhalt und musikalischen Ansatz erinnern Thieves' Kitchen oftmals an Finneus Gauge, das zwischenzeitliche Projekt von Echolyn Keyboarder Chris Buzby. Ging es bei "Argot" ausschließlich im Longsongformat oberhalb der 13 Minuten Grenze zu, so gelingt es Thieves' Kitchen inzwischen vermehrt in verkürzter Zeit auf den Punkt zu kommen. Die insgesamt sechs Titel sind wesentlich songorientierter, flüssiger im Aufbau, von der Stilistik dafür wesentlich breitgefächert angelegt. Auch wenn es über weite Strecken, sehr flott und querverschachtelt abgeht, so ist ebenfalls Platz für die nur von Pianobegleitung getragene Ballade "Spiral bound". Auf der anderen Seite der Skala ist das ausschweifende Epos "Chovihani rise" zu finden, mit über 23 Minuten zudem der längste und sinfonischste Titel des gesamten Albums, der sich an einigen Stellen sehr komplex und sprunghaft seinen ganz eigenen Weg im musikalischen Panoptikum von Thieves' Kitchen sucht. Die englische Band hat sich mit ihrem dritten Album inzwischen von fast allen Vergleichen und früherem Ballast befreit. Zwar wird "Shibboleth" nicht die große Masse ansprechen, doch trotz der inhaltlichen Schwere wirkt die Musik ausgesprochen locker, groovig und nicht mit verkopfter, bedeutungsschwangeren Schwere eingespielt. Sicherlich kein einfacher Stoff, aber "Shibboleth" ist auf jeden Fall ein todsicherer Geheimtipp für übergreifende Musik abseits der durchgängigen Strickmuster im Progressive Rock und eine Empfehlung wert.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2003