CD Kritik Progressive Newsletter Nr.44 (06/2003)
Polish Art-Rock Vol.1
(70:09, Lynx Music, 2000)
Polish Art-Rock Vol.2
(71:46, Lynx Music, 2001)
Polish Art-Rock Vol.3
(77:35, Lynx Music, 2002)
Aus der sehr lebendigen, polnischen Prog-Szene kommen seit Mitte der 90er jede Menge interessante Bands, die es aber, vor allem aufgrund der Sprachbarriere, nicht immer einfach in unseren Breiten haben. Besonders in Holland sieht es bzgl. des Bekanntheitsgrates wesentlich besser auf, da man dort auf ein größeres und begeisterungsfähiges Fanpotenzial zurückgreifen kann, man dort mit der polnischen Sprache anscheinend besser klarkommt, was letztendlich in diversen Liveauftritten einiger polnischer Bands in den Beneluxstaaten mündete. Der Sinn der hier vorgestellten Sampler lag und liegt vor allem darin, auf die darauf vertretenen, zum Teil noch unbekannteren Bands aufmerksam zu machen, ihnen die Möglichkeit zu geben, eventuell auch international Kontakte zu knüpfen. Besonders erwähnenswert ist die aufwendige und detaillierte Bookletgestaltung, in der jede Band mehr oder minder ausführlich mit einer polnischer und einer in etwas zweifelhaften englisch geschriebenen Biografie vorgestellt wird. "Vol.1" kommt zudem in einer Hardcoververpackung, die Nachfolger im 'normalen' Jewelcase. Leider drei Jahre zu spät, folgt zu Beginn die Besprechung der ersten Ausgabe, die auf lediglich 500 Kopien limitiert ist. Wer sich etwas tiefer mit der aktuellen polnischen Szene beschäftigt, dem dürften ein Teil der 11 auf "Vol.1" enthaltenen Bands nicht unbekannt sein, denn bis auf Collage ist hier alles Gutes vertreten, was besonders im sinfonischen Prog bzw. Neo Prog in den letzten Jahren von unserem östlichen Nachbarn kam. So ist die Neo Prog Schiene ausgezeichnet mit Abraxas, Quidam und Albion repräsentiert, wer's etwas komplexer mag, der dürfte mit Lizard bestens bedient sein. Doch ein Teil der nicht so namhaften Bands braucht sich keineswegs dahinter zu verstecken, wobei besonders augenscheinlich ist, dass hier der melodische, weichgezeichnete Neo Prog einen recht großen Überhang hat. Natürlich ist auf diesem Sampler nicht alles Gold, was im Player rotiert. So ist z.B. Milleniums Hard Rock Interpretation des Beatles Klassikers "A day in the life" eher überflüssig, Revolvers "Frank Zappa in Memorium" erinnert nur sehr wenig an den Altmeister bzw. die Gesangsleistung bei den Neo Proggern Framauro endet als totaler Griff ins Klo. Die zweite Ausgabe von "Polish Art Rock" wartet dann mit zwei grundsätzlichen Änderungen auf. Zum einen sind dieses mal wesentlich unbekanntere Bands am Start, zum anderen verfügen die bekannteren davon, ausschließlich in Polen über einen gewissen Bekanntheitsgrad. Die andere Änderung bezieht sich auf die Stilistik. Es sind noch sinfonische Tendenzen vorhanden, ein Großteil der Bands agiert jedoch weitaus experimenteller, gibt sich insgesamt sperriger und schräger, der Neo Prog Überhang ist somit komplett verschwunden. Neben den bekannteren Bands Ankh, die mit Geige und rauer Spielart, zum Teil an die frühen King Crimson erinnern und die, seit 1983 aktiven Sinfonic Rocker RSC, stammen die Highlights auf diesem Sampler von Gargantua (sprunghafter Jazz Rock mit crimsonesken Zügen) und Chimera (moderner Artrock). 10 Bands, die eine andere Nuance der polnischen Progressive Rock Bewegung bestens dokumentieren. Der dritte Sampler schien erst gar nicht zu Stande zu kommen, weil besonders im letzten Jahr die Szene in Polen innerlich zu zerfallen zerdrohte. Bands lösten sich auf bzw. legten ihre Aktivitäten auf Eis und nur einige Bands veröffentlichten überhaupt irgendwelche Alben. Doch der wirkliche Untergrund, mit Bands und Interpreten, die eigentlich nur im Proberaum spielen, nur selten live auftreten und über keinen großen Bekanntheitsgrad verfügen, ist aktiver denn je. So enthält "Vol.3" dieses mal komplett nur unbekannte Bands, ohne dass dadurch das spielerische vom Niveau vom Grundansatz her zu leiden hätte. Außer Special Experiment und Colt, die sich bereits mit ihren CDs in den letzten Ausgabe des Progressive Newsletters wiederfanden, sind die restlichen 12 Vertreter in jeglicher Hinsicht komplettes Neuland. So setzen z.B. Ad Libitum oder After recht gelungen die Tradition der sinfonischen Neo Prog Bands fort, Indukti wandern mit Violine und mysteriösen Rhythmen äußerst gekonnt auf der härteren, Düster Folk / Prog Rock Schiene, das Bruder / Schwester Duo Percival Schuttenbach experimentiert gleich mit diversen Stilen. Logischerweise sind die kompositorischen, wie auch spielerischen Fähigkeiten der einzelnen Bands recht unterschiedlich, wie natürlich auch die großen Bandbreite an Stilen nicht jedermanns Geschmack treffen wird bzw. kann. Dennoch möchte man von einigen Bands in Zukunft mehr hören, andere, vor allem die im zweiten Teils des Samplers, werden wohl noch einige Zeit im Übungskeller benötigen. So bieten diese drei Sampler ohne Zweifel einen recht guten Überblick über das Geschehen östlich der Oder. Im Gesamtvergleich repräsentiert "Vol.1" am besten die erfolgreiche Neo Prog Szene, "Vol.2" enthält die musikalisch interessantesten Bands und "Vol.3" bietet einen ansprechenden, wenn auch manchmal noch unfertigen Blick, auf diverse Newcomer. So ist wohl für jeden Interessierten am musikalischen Underground etwas dabei. Unterstützt diese wirklich gute Idee, sowie zugleich die polnische Szene und macht euch am besten selbst ein Bild. Für dieses Jahr ist übrigens auch ein Sampler mit "Polish Prog Metal" in Planung.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2003