CD Kritik Progressive Newsletter Nr.32 (10/2000)
Kraan - Live
(77:52, EMI Electrola, 1975)
Kraan - Tournee
(42:39, Fünfundvierzig, 1979)
Kraan - Nachtfahrt
(42:16, Fünfundvierzig, 1982)
Die Kraaniche sind zurück! Lange musste man auf die CD Wiederveröffentlichungen warten, doch nun purzeln sie in den letzten Monaten eine nach den anderen auf den Markt. In den nächsten Monaten sollen beim Label Fünfundvierzig noch "Live 88", "Dancing in the shade", "Soul of stone" und "Berliner Ring" folgen. Mit dem ersten Livealbum, welches schlicht betitelt einfach nur "Live" heißt, wurde erstmals die hervorragenden Bühnenqualitäten einer der damals wohl besten Livegruppen dokumentiert. Abwechslung durch variables Zusammenspiel und ausgiebige Improvisationen, flinke Soli, glänzende Neuinterpretation der Studiotitel, sowie insgesamt vier unveröffentlichte Titel machen den Reiz dieses Albums aus, welches im Oktober 1974 im Berliner Quartier Latin von Conny Plank mitgeschnitten wurde. Auf den ersten Scheiben spielte das Quartett noch ohne Keyboards, erweiterte aber mit Alt-Saxophonist Johannes A. Pappert den Sound, bevor schließlich Ende 75 Ingo Bischoff als Keyboarder einstieg, und man kurzfristig sogar als Quintett zusammenspielte. "Live" enthält solche Klassiker wie "Nam Nam", "Kraan Arabia" oder "Andy Nogger" und bietet Musik vom Allerfeinsten. Vier Jahre später folgte mit "Tournee" der zweite Livestreich - ein Beweis dafür, wie kraftvoll, energiegeladen, rhythmisch explosiv, aber auch gefühlvoll, verträumt, melancholisch die Musik von Kraan sein kann. Auf gerade mal sechs Titeln - die von verschiedenen Konzerten stammten und leider auch etwas lieblos ausgeblendet werden - kochen die vier Schwaben eine explosive Mischung aus federndem, leichten Jazzrock mit deutlicher Betonung im Rock, etwas Funk und Krautelementen. Dieses Album lebt und atmet und ruft mir geradezu den fantastischen Auftritt vom Burg Herzberg Festival wieder ins Gedächtnis. Neben dem unauffälligen, aber sehr effektiven Schlagzeug von Udo Dahmen, ist es vor allem dem unheimlich variablen Bass-Spiel Hellmut Hattlers zu verdanken, dass die Musik von Kraan ohne Ende groovt. Darüber legen Gitarrist Peter Wollbrandt und Keyboarder Ingo Bischof feine Muster, die mal unterstützen, aber auch unvermittelt in ausufernde Soli ausbrechen. Das drei Jahre später aufgenommene Studioalbum "Nachtfahrt" präsentiert zum Teil eine musikalisch gewandelte Band, die sich sehr deutlich dem damaligen Zeitgeist genähert hat. Nur noch selten wird die Leichtigkeit, die mitreißende Kunstfertigkeit der Vorgängeralben erreicht, vor allem der Einfluss der damals aufkeimenden Neuen Deutschen Welle ist augenscheinlich, gewisse Parallelen zu Spliff sind ebenfalls vorhanden. Dies spiegelt sich zum einen in den teils von New Wave und moderaten Discoklängen durchzogenen Kompositionen, wie auch in den hauptsächlich deutschen Texten, wieder. Zwar heben sich Kraan musikalisch natürlich immer noch wohltuend von dem ab, was zu oft in Neuen Deutschen Unsinn abglitt, - Fusion und jazziger Rock sind die Hauptessenzen der neun Lieder auf "Nachtfahrt" - doch müssen deutliche musikalische Einbußen in Kauf genommen werden, die somit nicht ganz den Hörgenuss der 70er gewährleisten.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2000