CD Kritik Progressive Newsletter Nr.23 (12/1998)
The Gathering - How to measure a planet?
(53:52 + 49:31, Century Media, 1998)
Was für ein grandioses Meisterwerk! Dieses Album muß ich subjektiv als die Überraschung und eines der besten Alben des Jahres bezeichnen. War mancherorts der Vorgänger "Nighttime birds" schon als lascher Abklatsch des Durchbruchalbums "Mandylion" abgeschrieben worden, so ist "How to measure a planet?" eine unglaubliche Weiterentwicklung. Ähnlich wie bei Marillion, haben sich The Gathering völlig von ihren Wurzeln gelöst und die alten Fans wenden sich verstört ab. Vom Death Metal von "Almost a dance" ist nichts übriggeblieben, auch mit den Vorgängern hat dieses Album nicht mehr so viel zu tun, hauptsächlich wird die Musik heute von der Wahnsinnsstimme von Anneke van Giersbergen und sehr viel Atmosphäre und Ruhe, sowie 70er Sounds getragen. Wohin man die Holländer stilistisch stecken soll, fällt nach diesem Album noch schwerer. Sicherlich sind da noch einige, wenn auch immer spärlicher vorkommende Heavy-Elemente (z.B. dreckiger Gitarrensound) übriggeblieben. Auch sind Gothic Tendenzen, wie auch mystischer, psychedelischer Einfluss nicht von der Hand zu weisen. Hauptsächlich lebt aber die Musik heute von der melancholischen Atmosphäre, die schon fast skandinavische Züge hat. Dem dichten, ruhigen Klangbild wurden noch Didgeridoo, Vibraphon, Mellotron und andere sowohl neue, wie auch wohlbekannte alte Sounds hinzugefügt. Mal klingt es ziemlich kaputt, fremdartig, aber absolut beeindruckend ("Great ocean road"), dann werden moderne, schleppende Trip Hop Rhythmen beigefügt ("Travel") oder man lässt es einfach nur rocken ("Liberty bell"). Und über all diesem thront diese unglaubliche Stimme! The Gathering wirken erwachsen und eigenständig, was nicht jedem gefallen wird. Sie scheuen inzwischen auch keine Stilbrüche. Beim über 28-minütigen, total spacigen Titeltrack gingen die Soundexperimente aber dann doch etwas zu weit, da außer endlosem Geblubber nicht viel übrig blieb. Aber abgesehen von diesem künstlerischen Egotrip kann diese CD (in der Erstauflage und für diese Besprechung als Doppel CD mit fünf Bonustracks erhältlich) vollständig überzeugen. Trotzdem eine Warnung: dieses Album ist sicherlich in seiner Klasse nicht für jedermann nachvollziehbar, da sicherlich einige Prog-Puristen bei dieser Musik wieder die Nase rümpfen werden.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 1998