CD Kritik Progressive Newsletter Nr.7 (02/1996)

Patrick Moraz - The story of I
(46:17, Charisma Records, 1976)

Nach Refugee letztes Mal, beglückt uns auch in dieser Ausgabe Monsieur Moraz mit seinen Künsten. Die Scheibe ist jetzt aber ein wirkliches Soloprojekt und nicht wie bei Refugee der Versuch, eine Prog Suppergruppe aus der Taufe zu heben. Die Platte entstand in der Zeit, nachdem er mit Yes "Relayer" rausgebracht hatte, in der jeder der einzelnen Musiker auf Solopfaden wandelte. 1972 tourte er einmal acht Monate mit einer Gruppe von 24 brasilianischen Tänzern und Percussionisten durch Ostasien und anscheinend übte diese Musik einen ziemlichen Einfluss auf ihn aus. Es ist kaum zu glauben, aber diese südamerikanische Musik hat er in einigen Liedern auf diesem Album mit Prog, wie man ihn kennt, kombiniert. Viele werden jetzt denken, es sei wohl fast unmöglich Prog, als sehr abwechslungsreichen und teils schwerfälligen Stil, mit südamerikanischer Musik, die sehr rhythmusbetont und locker-flockig daherkommt, zu kombinieren. Aber es klappt tatsächlich ganz gut und das was man dann zu hören bekommt, klingt wirklich mal neu und nicht wie eine Kopie von irgend etwas. Durch die paar Percussionisten, die er für die Scheibe verpflichtet hat, bekommt das Ganze eine Atmosphäre, wie beim Karneval in Rio. Diese treibenden Rhythmen geben den Liedern einen flotten Drive, dem sich meist die Keyboards mit schnellen Melodien anschließen. Der Einfluss ist aber nicht in allen Songs zu hören und auch in denen, wo Tom-Toms und Pauken einen Latin Sound erzeugen, ist es trotzdem immer noch Prog. Einige Lieder dagegen sind weder das eine, noch das andere, da geht's einfach normal rockig zu. Diese Lieder sind dann aber auch für meinen Teil recht langweilig geraten, sie klingen wie schwache Rocksongs aus der mittleren Phase von Santana. Von den Instrumenten her ist die Besetzung, von der Percussiongruppe mal abgesehen, die übliche mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und eben den Keyboards von Moraz. Die Soli spielt natürlich fast aller er auf den Tasteninstrumenten, die Gitarre bekommt nur ein-, zweimal ein Solo zugestanden. Auch die Melodieführung geht von den Keyboards aus. Trotzdem ist die CD nicht extrem stark tastenbetont und ist durch die Abwechslung von schnellen und langsamen Teilen, progressiven und lateinamerikanischen, recht abwechslungsreich. Es gibt auch Gesang, der mal von einer Frau, mal von einer Gruppe im Harmoniestil vorgetragen wird. Beide finde ich nicht besonders toll, obwohl objektiv gesehen nicht schlecht. Eben Geschmackssache. Die 14 Stücken gehen mit wenigen Unterbrechungen ineinander über und sind allesamt kurz. Das längste Lied ist 5:34 Minuten lang, d.h. es werden keine Longsongs im Stile von kleinen Miniopern geboten, sondern immer kleine überschaubare Häppchen hintereinander. Deswegen kann man auch schlecht Lieblingslieder herausstellen, aber die ineinander übergehenden "Intermezzo" und "Indoors" möchte ich doch als Tipp nennen. Sie bieten typischen Moraz-Sound, teils leicht jazzig, wie man ihn kennt und mag. Also, ein Album im 70er Art Rock Stil mit einer in einigen Liedern interessanten Mischung zwischen europäischen Prog und lateinamerikanischer Musik. Ansonsten meist solider Prog mit an manchen Stellen genial komplexen Passagen, wie man sie heute leider nirgends mehr zu hören bekommt. Trotzdem würde ich die im letzten Newsletter besprochenen Refugee vorziehen, weil sie insgesamt gesehen kraftvoller und ideenreicher sind.

El Supremo



© Progressive Newsletter 1996