CD Kritik Progressive Newsletter Nr.6 (12/1995)
Refugee - Refugee
(51:29, Si-Wan Records, 1976)
Nach dem allseits bekannten Yes-Sänger mit den "cosmic lyrics" (O-Ton Trevor Rabin) nun noch ein weiteres Reissue und noch mal mit jemand aus dem Yes Dunstkreis. Der Herr sitzt auf dem Cover rechts, ist ein Tastenmensch und kommt aus der Schweiz. Na, so schwierig ist das Rätsel dann ja doch nicht, oder? Nachdem man Musiker der Gruppe Yello und Clepsydra aussortiert hat, bleibt ja nur einer übrig...Patrick Moraz. Dieser hat mit zwei zusätzlichen Musikern in den 70ern dieses Prachtstück als Gruppenprojekt eingespielt. Da er für jeden der fünf Titel als Songschreiber (mit)verantwortlich ist, ist es natürlich ein keyboardlastiges Album. Dies fällt aber nicht "unangenehm" auf, weil eben noch zwei Musiker dabei sind, die dem guten Patrick durchaus ebenbürtig sind und somit das ganze mehr Gruppencharakter hat, wie z.B. Solowerke von Rick Wakeman. An der Schießbude sitzt Brian Davison (ex-The Nice), der dem Ganzen ein ausgezeichnetes Rhythmusgerüst verpasst. Besonders in den schnelleren Passagen kann man sein ganzes Können bewundern und er trägt somit auch stark zum Refugee-Sound bei. Seine MG-mäßigen, stakkatoartigen Trommelläufe geben vielen Passagen erst den richtigen Drive. Für die Lead Vocals und den Bass (und ab und zu mal Gitarre) zeichnet sich Lee Jackson verantwortlicht (ebenfalls ex-The Nice). Seine Arbeit am Bass ist eher unauffällig zu nennen, dagegen ist sein Gesang recht prägnant, um nicht zu sagen gewöhnungsbedürftig. So dehnt er manche Silben unnötigerweise aus, was manchmal etwas doof wirkt ("in the Grand Canyyyyooooon"). Das stört aber letztendlich nicht weiter, da der Gesamtsound einfach trotzdem so perfekt ist. Die typische ELP-Besetzung deutet auch an, in welche Richtung die Musik sich bewegt, wie gesagt ein keyboardlastiges Album. Moraz liefert mit seiner Tastenarbeit auf dieser CD den Beweis ab, dass er zu dieser Zeit zur ersten Sahne der Keyboardikonen zählte und zu Recht von Yes als Wakeman-Ersatz ausgewählt wurde. Bekanntlicherweise malträtierte er ja auf der "Relayer" und der dazugehörigen Tour die Tasten. Ob er aufgrund dieses Albums ausgewählt wurde, kann ich allerdings nicht genau sagen, da ich nicht mit Sicherheit weiß, ob es vor oder nach der "Relayer" aufgenommen wurde. Das Erscheinungsjahr wird zwar mit '76 angegeben, aber auch eine '74 taucht in Zusammenhang mit EMI ganz klein unten auf. Nachdem er aber schon auf der "Relayer" Tour im Open Air im Queens-Park sein Solo mit Teilen aus dem Refugee Lied "Papillion" ausschmückte, war das wohl schon der Fall. Ich finden seinen Stil, wenn man noch mal als Vergleich die frühen Wakeman Soloalben heranziehen will, sogar eindeutig besser. Er ist weniger klassisch-sinfonisch ausgerichtet, sondern mehr rockig-jazzig. Man könnte ihn als Mischung zwischen Wakeman und Emerson bezeichnen. Die Instrumentierung entspricht selbstverständlich den 70ern, d.h. die Hammond dröhnt und die Mini-Moog quiekt. Auch Mellotron, Kirchenorgel und ein Alphorn(?!) sind dabei. Natürlich dürfen auch die Longtracks nicht fehlen, so sind ein 18 und ein 16 Minuten Lied dabei. Bis auf das relativ schwache "Someday" sind alle Lieder echte Art Rock Kracher. Wer also endlich mal wieder richtig geilen komplexen und bombastischen Art Rock hören möchte, für den führt kein Weg an diesem Korea-Import(!) vorbei.
El Supremo
© Progressive Newsletter 1995