CD Kritik Progressive Newsletter Nr.75 (07/2012)
Lis Er Stille - Nous
(45:29, VME, 2012)
Nach einem großartigen Album noch einen drauf zu setzen, fällt schwer. Doch sind Lis Er Stille nicht dem Wahn verfallen, ihr episches Werk "The collibro" (2010) noch toppen zu wollen bzw. einfach ein weiteres Album in ähnlichem Strickmuster als eine Art "Vol.2" zu veröffentlichen. Auf "Nous" setzt die dänische Band auf so etwas wie eine leicht andere Ausrichtung, ohne sich ganz von den Wurzeln der Vergangenheit zu befreien. Die Band bevorzugt immer noch einen recht überbordenden, niemals zurücksteckenden Ansatz, der Alternative / Post und Art Rock vereint. Einschränkung und Gewöhnlichkeit sind immer noch Fremdworte, alles wirkt eine Stufe größer und überladener, als dies für die Musik notwendig wäre. Doch genau darin liegt der Reiz, auch wenn Lis Er Stille in den ruhigen Momenten durchscheinen lassen, dass sie auch mit wenigen Tönen intensive Stimmungen erzeugen können. Dabei entscheidet einmal mehr der nicht immer zurückhaltende Gesangsstil von Martin Byrialsen über Ge- und Missfallen. Das ist von der Ausdrucksform keineswegs einfacher Stoff, doch unheimlich prägnant und immer zwischen den Polen Überdrehtheit und Einordnung in den musikalischen Kontext schwankend. Trotzdem funktionieren Lis Er Stille eben nicht nur über den Gesang, auch der instrumentale Rahmen haut kräftig rein. Es fehlt weder an epischer, atmosphärischer Vollbedienung, ergreifenden Melodielinien, noch an melancholischen, zurückgenommenen Momenten. Das mag für manche Kritiker immer genau eine Spur zu viel des Guten sein, bisweilen einfach orientierungslos wirken. Und dieser Vorwurf ist durchaus nachvollziehbar. Sofern man sich jedoch auf die auftürmenden Soundwälle einlässt, wird man von einer klanglichen, euphorischen Offenbarung mitgerissen. Lis Er Stille sind eine Band, die auf Gegensätze setzt und damit sitzt man zwangsweise immer zwischen den Stühlen.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2012