CD Kritik Progressive Newsletter Nr.74 (02/2012)

Missus Beastly - Dr.Aftershave and the Mixed-Pickles
(59:08, Garden Of Delights, 1976)

Die drei Alben "Missus Beastly" (1970), "Missus Beastly" (1974) und "Bremen 1974" (2006) sind bereits von Garden of Delights auf CD (wieder) aufgelegt worden. Das 1978er Album "Space Guerilla" ist in Vorbereitung. Jetzt liegt das 1976er Album der Jazzrocker aus Würzburg auf CD vor. Digital remastert, um zwei Tracks ergänzt, die während des "Umsonst und draußen" - Festivals mitgeschnitten wurden, jeweils ein Song in den Jahren 1976 und 1977. Missus Beastly spielten exzellenten Jazzrock mal mit funky Note, mal nah am rasanten Stil der Canterbury-Szene, ganz europäisch, durch und durch progressiv. (Fast) rein instrumental, sind die 8 LP-Stücke komplexe, intensive Monster voll grandioser Ideen, Improvisationen und Soli, in denen der Bass, Bläser und Tasteninstrumente ganz ohne Gitarre illustre Läufe absolvieren. Spielfreude pur, sind die Songs ungemein intensiv und kompromisslos. Schöngeistige Harmonien werden in disharmonischer Rasanz aufgehoben, groovebetonte Jazzmotive fallen über freakige Rockpartien her. Die Band übte sich nicht darin, dem großen Publikum zu gefallen, sondern den Jazzfreaks im progressiven Rockpublikum, die sie selbst ebenso waren - abgefahren radikalen Stoff zu geben. So arbeitet die Rhythmusabteilung sehr komplex, Schlagzeuger Butze Fischer bricht jeden Rhythmus, kittet ihn mit Handperkussion und gibt selbst Bassist Norbert Dömling, der melodisch frei unterwegs ist, den nötigen Background. Das vibrierende Gemisch ist pausenlos energetisch aktiv, die Songs pulsieren, geben den zahllosen melodischen Ideen Raum, brechen diese stets auf und fahren sie in enorm druckvoller Arbeit zu Höchstleistung. Dabei entstehen freie Radikale, die den Songs die besondere Note geben. Jazzrock der progressiven Spielart erfährt hier einen seiner ganz besonderen Höhepunkte. Und dabei lehnt die Band sich kaum an die erfolgreichen Avantgardisten ihrer Szene an. Missus Beastly haben Idee und Charakter, die kein nahes Vorbild für illustre Intensität zu brauchen. Schade einmal mehr, dass nur wenige Bands sich heute finden, dieses Genre virtuos am Leben zu erhalten. Missus Beastly sind Klassiker ihres Genres weit über Deutschland und Krautrock hinaus. "Dr. Aftershave and the Mixed-Pickles" ist eine extrem abgefahrene, rasante Berg- und Talfahrt erstklassiger Songs. Ob die Tracks nun wie in "For Evi" 2:58 oder wie in "Nothing again" 10:02 Minuten für instrumentale Extravaganzen ausnutzen. Die beiden Bonustracks stehen dem sehr guten Studiosound kaum nach, die Aufzeichnung ist wohlklingend. Und längst nicht nur dies. Einmal mehr beweisen die Würzburger, dass progressive Musik einen grandiosen Live-Faktor hat, der pulsierendes Leben auf hohem Niveau locker zu zelebrieren weiß. Tipp!

Volkmar Mantei



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