CD Kritik Progressive Newsletter Nr.73 (11/2011)
Yesterdays - Colours Caffè
(52:28, Privatpressung, 2011)
Es hat eine ganze Weile gedauert, bis das (zumindest von mir) mit Spannung erwartete Nachfolgewerk des wunderbaren "Holdfénykert" (Moonlit Garden)-Albums erschienen ist. Ich bin ein ausgesprochener Freund des Yesterdays-Debüts und war nach dem ersten Durchlauf ein wenig enttäuscht. Warum? Weil ich den auf "Holdfénykert" vorherrschenden romantisch-verträumten Sound vermisste. Der erste Eindruck vermittelt eher, dass man sich deutlich in eine mehr vitale, poppige Richtung entwickelt hat. Doch diverse weitere Hördurchläufe zeigten mir dann, dass dieser erste Eindruck in die Irre führt. Es gibt auch für den "Holdfénykert"-Fan keinen Grund, enttäuscht zu sein. Denn diese Band hat sich zwar tatsächlich in vielerlei Hinsicht verändert, doch sie haben nach wie vor ihren eigenen Yesterdays-Charme behalten, wenn auch in leicht abgewandelter Form. Und es ist schon mal per se zu begrüßen, dass sie nicht einfach genau so weiter gemacht haben, sondern sich neue Dinge ausgedacht haben. Und sie haben hier eine ganze Menge zu bieten, was sich mir aber erst nach einer Weile erschlossen hat. Dass es mit der Fertigstellung der CD etwas länger dauerte, lag sicherlich auch daran, dass es in der Zwischenzeit einige personelle Veränderungen gegeben hat. Die auf dem Debüt agierende Frauenpower (drei Damen an Gesang / Flöte / Tasten) ist nicht mehr mit von der Partie. Die Suche nach adäquatem Ersatz am Mikro musste immer wieder neu aufgenommen werden, denn einige der potenziellen Frontfrauen waren nur für kurze Zeit dabei. Erst kurz vor einem Gig in Holland fand man in Linda Horváth offenbar die passende Stimme. Ich durfte diese Formation bei ihrem ersten Auftritt mit Linda dann auch in Holland live erleben, und ich muss zugeben, dass die Band mich mit ihrer fulminanten Spielfreude absolut begeistern konnte. Die tolle Livepräsentation bringt dann auch noch einen Extra-Punkt in der Bewertung ein. Zurück zum Album: der Gesangsanteil ist sehr hoch, so dass dem Hörer sicherlich abverlangt wird, mit dem in unseren Kreisen doch recht ungewohnt klingenden, durchweg in Muttersprache gehaltenen Gesang klarzukommen. Ich könnte mir zwar vorstellen, dass eine komplett in Englisch gehaltene Version den Kreis der potenziellen Interessenten noch erweitern dürfte, doch ich befürworte auch hier, dass sich die Band entschieden hat, bei ihrer Muttersprache zu bleiben. Das wirkt einfach authentischer und spiegelt sich letztendlich auch in der Gesamtqualität der Songs wider. Wie gesagt, mein erster Eindruck war: das ist ja viel poppiger als beim Debüt, was zum Teil auch auf die neue Stimme zurückgeführt werden kann. Aber wenn auch ein gewisser Pop-Touch nicht zu verleugnen ist, so täte man diesem Album absolut unrecht, es einfach nur in diese Kategorie einzuordnen. Denn es passiert hier viel, viel mehr. Hier wird mit unglaublich viel Liebe zum Detail gearbeitet, so dass auch in recht kurzen Nummern bei wiederholtem Hören immer wieder etwas Neues entdeckt werden kann. Und das bei einem wirklich breiten Spektrum, das hier stiltechnisch angeboten wird. Das fängt an bei Bandleader Ákos Bogáti-Bokor, der - und das ist auch eine wesentliche Neuerung im Vergleich zum doch recht akustisch gehaltenen Debüt - eine beeindruckende Vielfalt an Spielarten an seinen Gitarren präsentiert, und hier gerade sein sehr variantenreiches Spiel an der elektrischen Gitarre auffällt. Bogáti-Bokor ist äußerst vielseitig unterwegs, das ist mal rockig, neoproggig, mal folkig, aber auch durchaus mal jazzig. So endet ein anfangs eher poppig anmutender Song überraschend mit einem Allan Holdsworth-typischen Gitarrenlauf. Keyboarder Zsolt Enyedi ist ein echter Prog-Keyboarder, der sich hier immer wieder prägnant, aber nie zu aufdringlich einbringt. Keine zig-fach übereinander gelegten Tastenläufe, sondern immer wieder kurz ins Spiel gebrachte feine, teils recht lustige Ideen, die dem Album an jeder Stelle gut tun und das Prädikat "besonders wertvoll" verdienen. Die Rhythmustruppe macht einen hervorragenden Job, sei es das hervorragende Bassspiel von Zoltán Kolumbán oder das souveräne Drumming von Domokos Csergo. Und auch der erfahrene Flötist Gábor Kecskemeti steuert in unterschiedlichsten Stilarten seine höchst effektiven Parts bei, wobei er bei der "Némafilm Suite" mit dafür sorgt, dass dann doch auch mal alte "Holdfénykert"-Stimmungen im typischen Yesterdays Stil zu vernehmen sind. Da werde ich sogar an das legendäre "Si on avait besoin dïune cinquième saison" von Harmonium erinnert, das für mich DIE Referenz für traumhaft schöne Flöten / Mellotron / Akustik-Gitarren Kompositionen darstellt. Kleinigkeiten wie der wiederholte Einsatz des Glockenspiels sind zwar nicht essentiell, bilden aber einen weiteren kleinen Mosaikstein für das Entstehen eines ausgesprochen farbenfrohen Albums. Und auch die Mini-Songs wie das wunderbare Synthi- und Flöten-Duett (plus dezentes Gitarrenspiel) "Flautoccata" oder das Ambient-artige "Prelúdium egy" mit Gast-Trompeter Sorohan Mihai sind wichtige Beiträge für ein Album, das - wenn man mal von dem anfänglichen Eindruck eines deutlichen Pop-Gehalts weggekommen ist - ausgesprochen spannend und abwechslungsreich daher kommt. Es war vermutlich auch eine kluge Entscheidung, nicht alle Songs mit der neuen Sängerin einzuspielen, sondern die ursprünglich dafür vorgesehenen Beiträge zu belassen. Die Stimmen von Andrea Emese Ercsey, Tímea Stutz, Karola Antal (von Tabula Smaragdina) oder Hanna Horváth passen hervorragend zu den jeweiligen Songs, während Lindas Stärken eher bei schnelleren Titeln zum Tragen kommen. Nicht unerwähnt bleiben sollte auch, dass Drummer Borlai Gergõ und Gitarrist Mohai Tamás durchaus bekannte Größen in der ungarischen Jazzrock-Szene sind. "Colours Caffè" ist eine Gute-Laune-Scheibe par excellence. Eine kleine Perle, die es zu entdecken gilt, einige Ohrwürmer inbegriffen. Und hoffentlich auch mal wieder live erlebt werden kann, denn die pure Spielfreude, die einem da entgegen kommt, ist ansteckend - und ist auch schon auf CD erkennbar. Toll! Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sie beim nächsten Werk (dann hoffentlich mit weniger Verspätung) wieder einige Überraschungen parat haben werden. Sehr, sehr charmante Band, in der ein riesiges Potenzial steckt!
Jürgen Meurer
© Progressive Newsletter 2011