CD Kritik Progressive Newsletter Nr.70 (11/2010)

Crippled Black Phoenix - I, vigilante
(48:30, Invada, 2010)

War der Vorgänger "200 tons of bad luck" noch eine sehr deutliche Verbeugung vor Pink Floyd, mit teilweise zu offensichtlichen Zitaten, so haben sich Crippled Black Phoenix auf ihrem dritten Album etwas mehr freigeschwommen. Vieles ist jedoch gleich geblieben: die musikalische Inspiration hinsichtlich Instrumentierung, Arrangements und Klangfarbe sind komplett in den 70ern zu finden, auch setzt man bei den Briten gerne auf elegische, atmosphärische Momente voll zeitloser Schönheit. Nach dem Prinzip weniger ist mehr hat man auch die Titelanzahl zusammengefahren und die gerade mal 5 Titel (plus einem nicht so ganz ernst zu nehmenden Bonustrack in 70er Jahre Grand Prix Tradition) nehmen sich nun einfach mehr Zeit, bis die monolithische Kraft voll zuschlägt. Crippled Black Phoenix sind zwar im Geiste immer noch von Pink Floyd gefangen genommen - man setzt auf langsame Stimmungen und sorgsam geplante Höhepunkte, für die man sich nicht in ein enges Songkorsett quetschen lässt. Aber trotzdem wirkt dies auf diesem Album eigenständiger und befreiter. "I, vigilante" ist kein Album, das sofort durchstartet, sondern mit seiner Traurigkeit und Melancholie vom eigenen Zuhören Zurückhaltung und Geduld erfordert. Die innerliche Trägheit nimmt einen aber dennoch gefangen, denn vom langsamen Dynamikaufbau und weitläufigem Breitwandsound (u.a. mit Slidegitarre und Streicher verfeinert) wird man geradezu cineastisch umgeblasen. Das wirkt oftmals wie ein Ritt durch leere, weite Landschaften amerikanischer Prägung, bevor der Sturm aufzieht und dramatische, aufwühlende Momente am Horizont erscheinen lässt. Als besondere Überraschung hat man zudem eine Coverversion von "Of a lifetime", vom ersten Journey Album aufgenommen, die sich 1975 noch ohne Steve Perry musikalisch weit weg vom perfekten AOR / Melodic Rock der späteren Jahre bewegten. Trotz seiner Laufzeit von mehr als 45 Minuten wurde "I, vigilante" lediglich als EP angekündigt, ein weiterer, richtiger Longplayer soll demnächst folgen. Wohl dem, der so viel Material auf absolut ansprechendem Niveau sein Ideeneigentum nennt.

Kristian Selm



© Progressive Newsletter 2010