CD Kritik Progressive Newsletter Nr.65 (05/2009)

The Gathering - The west pole
(54:17, Psychonaut Records, 2009)

Die Trennung von ex-Sängerin Anneke van Giersbergen, die mittlerweile mit Ihrer Band Agua de Annique ein neues, mehr im melancholischen Pop Bereich angesiedeltes Betätigungsfeld gefunden hat, war sicherlich der größte Einschnitt in der Bandgeschichte von The Gathering. Wie würde es nun weitergehen? Wagt die Band einen Neuanfang oder macht sie nur mit einer neuen, ähnlichen Stimme so weiter wie bisher? Die Antwort fällt, wie zu erwarten, etwas zwiespältig aus. Mit der neuen Sängerin Silje Wergeland (ehemals Octavia Sperati) hat man eine Stimme gefunden, die doch sehr im Ausdruck und Klang an ihre Vorgängerin erinnert und sicherlich auch die alten The Gathering Songs sehr gut interpretieren kann, sich aber dennoch einer enormen Erwartungshaltung gegenüber sieht. Ob die Auswahl aufgrund der stimmlichen Ähnlichkeit eine gewollte Entscheidung war oder einfach nur Zufall war, bleibt im Bereich der Spekulation. Trotzdem entsteht irgendwie der Eindruck, dass man sich nicht ganz von der Vergangenheit lösen wollte bzw. den bisherigen Fans nicht einfach vor den Kopf stoßen wollte. So überzeugt die Norwegerin stimmlich zwar nicht so sehr mit einer eigenen Note, kann aber dennoch durch ihre vokalen Qualitäten diesem Album ihren Stempel aufdrücken und macht den Übergang keineswegs zu krass, nachdem auch unbestätigte Gerüchte kursierten, dass man es mit einer ganz anderen Stimme bzw. ebenfalls mit einem Sänger versuchen wollte. Damit ist die Umstellung für die Fans durchaus verschmerzbar, anders sieht es mit dem musikalischen Gehalt von "The west pole" aus, für das man sich immerhin knapp 3 Jahre seit dem letzten, nicht in allen Facetten überzeugenden, etwas durchwachsenen Studioalbum "Home" Zeit nahm. So ist ebenfalls "The west pole" ein zweischneidiges Schwert. Der mal schrammelnde, mal atmosphärisch sehr dichte Alternative Rock von The Gathering überzeugt vor allem in seinen langsamen, traurigen, sehr melancholischen Momenten durch eine beeindruckende Stimmungstiefe und wunderbare Melodien, die mehr rockige Seite kann jedoch nicht immer vollständig für Begeisterung sorgen. Irgendwie fehlt dem Album hin und wieder der letzte Tiefgang, die richtig mitreißenden Ideen. The Gathering sind zweifelsohne immer noch gut, aber auf gesamte Albumlänge waren sie einfach schon besser. Trotzdem erschaffen sie immer noch geniale Momente, wie im wunderschön getragenen "No bird call" oder dem mit Post Rock Wall-Of-Sounds sich dramatisch immer mehr steigernden "Capital of nowhere". "The west pole" kann damit nur zum Teil überzeugen, wobei der Anspruch und die Erwartungshaltung natürlich recht hoch sind, aber vielleicht befinden sich The Gathering einfach noch im Findungsprozess, wie es nun wirklich weitergehen soll. Alles in allem eine solide, gute Scheibe, die in Augenblicken aufblitzen lässt, dass in dieser Band immer noch genügend Feuer brennt.

Kristian Selm



© Progressive Newsletter 2009