CD Kritik Progressive Newsletter Nr.57 (11/2006)

Steve Hackett - Wild orchids
(57:26, InsideOut, 2006)

An das erste Rockalbum seit drei Jahren wurden große Erwartungen geknüpft, hatte Steve Hackett doch mit seiner 2003er Veröffentlichung völlig neue Maßstäbe im Progressive Rock gesetzt. Nach wiederholtem Hören konnte ich feststellen, er hat eigentlich alles richtig gemacht. "Wild orchids" ist kein Son of "To watch the storms" und doch gibt es genügend Gemeinsamkeiten bei beiden Alben, dass an dieser Stelle all jenen, die damals begeistert waren, eine uneingeschränkte Kaufempfehlung erteilt werden kann. Die Band ist im Wesentlichen dieselbe, wurde aber um das Underworld Orchestra, welches erstmals 2005 auf Steves klassischem Werk "Metamorpheus" zum Einsatz kam, sowie um John Hackett erweitert. Mit "A dark night in Toytown" wird das neue Album furios eröffnet, wer bei der 2004er Tour dabei war, wird das Lied in guter Erinnerung behalten haben. Nach diesem rasanten "Ghost train to hell" geht es musikalisch ab in Richtung Orient, "Waters of the wild" ist in meinen Ohren eine Mischung aus "Rebecca" (von "...storms") und arabischen und indischen Klängen. Ein sehr schönes Lied folgt mit "Set your compass", die ganze Stimmung erinnert etwas an "Entangled" und ein kurzes Zitat aus seinem ersten Soloalbum ("Voyage of the Acolyte") ist auch mit drin. Im Anschluss kommt mit "Down Street" ein derart geniales Werk, dass man es fast nicht beschreiben kann. Eine abgefahrene Mischung aus Zappa, Rummelplatzmusik, Reggae, Funk und Big Band-Sounds in atemberaubender Geschwindigkeit, das ganze noch garniert mit Steves düsteren Sprechsgesang, wie er ihn seit "Vampyres..." (von "Guitar Noir") drauf hat. Dieses 7 Minuten Stück kann man wieder und wieder hören, das wird nie langweilig. Entspannter geht es mit "A girl called Linda" weiter, vergleichbar mit einem durch jazzige Instrumentalpassagen aufgelockerten "A trick of the tail" (Titelsong des 1976er Genesis-Albums). Interessanterweise sind auch zwei Coverversionen auf Wild Orchids: "Ego and Id" stammt von "Checking out of London", dem im vorigen Jahr erschienenen Album von John Hackett. Bei dieser Version geht noch mehr Post ab. Hier wirkt zudem Steves alter Weggefährte Nick Magnus mit, ich vermute, dass die Aufnahme noch aus den damaligen Sessions stammt. Hatte Steve Howe einst eine ganze CD mit Bob Dylan-Songs eingespielt, genügte hier "Man in the long black coat". Es ist nicht mein Favorit des Albums. Ich kenne aber auch das Original nicht, für mich hört es sich etwas nach The Walkabouts an. Insgesamt bietet "Wild orchids" wieder einen abenteuerlichen Stilmix, zusammengehalten durch Steves Gitarrenspiel. Die Parallelen zu King Crimson fehlen dieses Mal, aber Anklänge an klassische Filmmusik ("She moves in memories") oder seine "Wiederentdeckung" von Rummelplatzklängen bereichern neu die musikalische Palette. Da auch eine Limited Edition mit vier Bonustracks und leicht veränderter Reihenfolge erschien, möchte ich darauf noch kurz eingehen: "Transylvanian Express" ist eigentlich eine Instrumentalversion von "A dark night in Toytown". Am Ende klingt es aber eher sowjetisch. "Blue child", klingt nach Blues und ist es in etwa auch. "Cedars of Lebanon" muss ich mir noch mal anhören, auf jeden Fall sehr interessant. Richie Havens sollte das ursprünglich singen, bedauerlich, dass daraus nichts wurde. "Until the last butterfly" (habe Ihr eigentlich schon mal bemerkt, dass Schmetterlinge immer seltener werden?) ist ein sehr schönes Gitarreninstrumental. Da die Bonustracks wirklich eine Bereicherung sind, lohnt sich auf jeden Fall die Anschaffung der Limited Edition, zumal der Preis wahrscheinlich nicht wesentlich über dem der einfachen Ausgabe liegt.

Andreas Schütze



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