CD Kritik Progressive Newsletter Nr.57 (11/2006)

Trespass - Morning lights
(48:07, Musea, 2006)

Manchen Ländern hängt ja immer noch so etwas wie ein Exotenbonus nach, da man eigentlich nur recht selten was aus ihren Breiten zu hören bekommt. Zwar hat sich Israel spätestens mit Aviv Geffen und dessen Zusammenarbeit mit Steven Wilson unter dem Namen Blackfield, aber auch durch andere Projekte wie z.B. Ahvak oder unbekannte Perlen aus den 70ern auf der Landkarte platziert, doch noch immer gehören Bands aus dem Nahen Osten zu den eher seltenen Randerscheinungen. Deswegen tendiert auch sicherlich das zweite Album von Trespass (nicht zu verwechseln mit der deutschen Band gleichen Namens), mehr in die Sparte "ungewöhnliche Herkunft". Die Musik auf "Morning lights" spricht dafür eine ganz andere Sprache. Bereits auf dem 2002er Debüt "In haze of time" outete sich das Trio aus Jerusalem als musikalische Neuaufbereiter des Klassik Rock Sounds von The Nice und den holländischen Trace / Ekseption, was sich auf dem aktuellen Album konsequent fortsetzt. Neuerungen und moderne Einflüsse findet man hier keine, die fünf Titel des aktuellen Albums (u.a. eine Neuinterpretation von Vivaldi) sind eindeutig eine Verbeugung vor der glorreichen progressiven Vergangenheit. Dabei macht es nur einen marginalen Unterschied, ob man sich auf 4 Minuten beschränkt oder wie beim Titelsong des Albums die Ideen auf über 21 Minuten ausdehnt, die innere Logik und Musikalität bleibt letztendlich die gleiche. Obwohl das Trio eindeutig den Vorbildern huldigt, bleibt ihre sehr schwungvolle Neuninterpretation locker und unverkrampft, und trotz erhöhten Tempos verliert man sich keineswegs in spielerischer Beliebigkeit, sondern kann durchaus virtuose Einzelleistungen mit deutlichem Tastenüberhang beisteuern. Mit gelegentlichen Flötentönen, wie auch dem Einstreuen von Spinettklängen und deutlichem Mittelaltereinschlag geht es inhaltlich hin und wieder ein paar Jahrhunderte zurück, was den klassischen Anstrich der Musik noch weiter verstärkt. Von zwei Titel abgesehen, verzichtet man übrigens komplett auf Texte und Gesang, was jedoch keineswegs sauer aufstößt. "Morning lights" ist in kompletter Konsequenz ein "Rückschritt" und Zurückdrehen der Zeit, ohne dass es sich dabei nur um einen lieblosen Aufguss bisher allseits Bekannten handelt: Retro Prog ohne Kopfschmerzen wegen des Katers danach.

Kristian Selm



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