CD Kritik Progressive Newsletter Nr.55 (04/2006)

Nemo - Si partie I
(57:44, Quadrofonic, 2006)

Das Leben ist manchmal einfach so ungerecht. Würden Nemo englisch singen, gäbe es nicht inhaltlich bei ihnen einen deutlich francophilen Einschlag und hätten zudem einen ordentlichen, flächendeckenden Vertrieb, dann gehörten sie sicherlich spätestens seit ihrem letzten Studioalbum "Prélude à la ruine" zu den angesagten Szenegrößen. Doch aufgrund der eben beschriebenen Einschränkungen bleibt die Band wohl leider völlig zu Unrecht nur ein Insidertipp. Bereits mit "Prélude à la ruine" bewiesen die Franzosen, welche musikalische Kraft in ihnen schlummert. Doch damit nicht genug, denn mit "Si partie I" setzen sie ganz locker noch einmal einen drauf. Das Geheimrezept für die musikalische Klasse des Quartetts aus unserem westlichen Nachbarland ist die souveräne Vermischung fußend auf einer schwungvollen neo-progressiven Grundsubstanz vermengt mit einigen Retro Sounds und gelegentlichem, sehr moderatem Prog Metal Einschlag. Doch was Nemo vor allem auszeichnet, ist die kompositorische Frische, mit denen sie ihre Ideen präsentieren. Keineswegs wird hier 1000x Gehörtes nur lauwarm aufgekocht, sondern die Musik hat Esprit, jede Menge Power und bedient sich eben nicht nur bei ihren Vorbildern. So gelingt es auf einem überaus melodischen, aber immer ordentlich rockendem Grundgerüst mit dem rechten Maß an Komplexität die Musik aufzubauen. Da bricht die Gitarre mal zu einem erdigen Solo auf, die Keyboards geben sich auch mal jazz-rockig angehaucht oder nur in sachter Pianobegleitung, jedoch ist das Ganze so geschickt verpackt, dass man als Hörer keineswegs überfahren wird. Die Hürde, dass hier ausschließlich in französisch gesungen wird, mitunter Erinnerungen an die aktuellen Ange aufkommen, dürfte sicherlich für den rein anglophilen Hörer das größte Problem darstellen. Doch warum immer nur nach den Vorbildern aus dem englisch-sprachigen Raum schielen, wenn man eine ganz eigene Identität und vor allem Einflüsse aus seinem Mutterland souverän einbringen kann? So ist "Si partie I" vor allem eine Scheibe, die durch mehrmaliges Hören beständig wächst, sich aus verschiedenen Epochen des Progressive Rocks bedient und dennoch keinerlei Verschleißerscheinungen aufweist. Okay, vielleicht ging hier die Euphorie des Schreibenden einfach mit ihm etwas durch. Letztendlich geht es mit dieser Kritik schlussendlich darum, auf eine Band hinzuweisen, die sicherlich mehr Aufmerksamkeit verdient hat und auf jeden Fall einen Anhörversuch absolut wert ist.

Kristian Selm



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