CD Kritik Progressive Newsletter Nr.54 (01/2006)

Neal Morse - ?
(56:32, InsideOut, 2005)

"Es geht auf '?' .... um das, was ich für die Mysterien Gottes halte. Mit dem Ziel, die Menschen zum Nachdenken über diese Dinge anzuregen und ihre Herzen mit meiner Musik zu berühren." Sprach der musikalische Missionar, Neal Morse und liefert ein Konzeptalbum ab, was mich vom Inhalt nicht ganz so stark berührt, um ehrlich zu sein sind die Lyriks sogar recht penetrant und nervend, aber die Musik und die beteiligten Musiker entschädigen dafür um so mehr. Zu seiner inzwischen festen Mannschaft mit Randy George und Mike Portnoy sind diesmal noch Keyboarder Jordan Rudess (Dream Theater), Mark Leniger am Saxophon (war bereits auf "Testimony" zu hören), Steve Hackett, Roine Stolt, und Alan Morse mit von der Partie....das Leben schreibt doch immer wieder die schönsten Geschichten. Und genau diese Ausnahmemusiker haben trotz weiterer Gäste an Cello, Violine, Hörner, Dudelsack und Gesang, einen maßgeblichen Anteil an diesem neuen Studioalbum. Natürlich steht über allem auch weiterhin der Initiator Neal Morse, doch man spürt regelrecht, wie gut sich die Gastmusiker hier eingebracht haben, und so immer mal wieder mit eigenen Akzenten sowie als Mitgestalter überzeugen. Dreh- und Angelpunkt sind neben dem Tastenspiel die Gitarren, was aufgrund von drei Gitarristen auch wenig verwunderlich ist. Dabei gibt besonders Neals Bruderherz Alan mit seinen wunderbar rotzigen Gitarren Riffs der Musik einen unglaublichen Kick. Ebenfalls eine große Rolle spielt der Saxofonist Mark Leniger, der mit seinem jazzigen Spiel etwas an David Jackson erinnert und vom Einsatz her einen Vergleich mit der ersten Arbeit von The Tangent zulässt. Eine Klasse für sich ist Mike Portnoy, der wie gewohnt aufs heftigste und unheimlich kräftig sein Schlagzeug bearbeitet. Kurz gesagt, die gesamte Scheibe liefert durchweg genau den typischen und unverwechselbaren Progressive Rock, auf den mit Sicherheit einige unter uns nach der Trennung von Spockïs Beard und Transatlantic insgeheim immer gehofft haben. Mächtige und zugleich wuchtige Instrumentalparts, mit einer perfekten Balance zwischen schönen Melodien, verfrickelten, teils gejammten Momenten, sowie einen homogen wirkenden Spannungsbogenaufbau - da lacht das Herz. Andersherum gibt es mit Sicherheit auch wieder einige Plattenkritiker, die Neal Morse (teilweise ja auch zurecht) als Wiederholungstäter hinstellen, und mehr musikalisches Neuland fordern, aber davon darf es dann wiederum nicht ganz so viel sein, sonst hat es ja vielleicht gar nichts mehr mit Prog zu tun, und das wird ebenfalls negativ gewertet, so wie dies bei seinen ersten Soloalben von 1999 und 2001 der Fall war. Also, was soll Neal Morse nun tun? Es ist eben einmal seine musikalische Ausdrucksform und Spielart. Oder ist man als Hörer über all die Jahre doch schon etwas zu abgestumpft? Aber das Schlimmste, was uns passieren könnte, wäre doch, wenn er sich komplett aus unserem Bereich verabschieden würde. Und ich gebe zu, ich hatte zu Anfang ebenfalls meine Vorurteile, aufgrund der kurzen Enstehungszeit von '?' und der Veröffentlichungsflut von Neal Morse dachte ich schon etwas an eine CD, die mehr unter Druck der Plattenfirma entstanden ist, sowie vieles an Füllmaterial enthalten würde, doch die zusammenhängend eingespielten zwölf Parts sind alles andere als Mittelmaß. Ich schlage einfach vor, wir lehnen uns zurück und genießen ganz locker die professionell und auf hohem Niveau gespielte Musik, solange es diese überhaupt noch gibt, und nehmen gewisse Ähnlichkeiten als eine Art Neal Morse - Stil hin. Fazit: '?' bietet nach "Testimony" und "One" den eindeutigsten Revival von Spockïs Beard (ab "Snow") und Transatlantic, was allerdings für den ein oder anderen auch etwas zu viel "Revival" darstellen kann. Mir dagegen gefällt Neal Morse als Solokünstler so immer noch am besten, auch wenn er an die gemeinsamen Spockïs Beard Großtaten immer noch nicht heranreicht.

Andreas Kiefer



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