CD Kritik Progressive Newsletter Nr.53 (09/2005)

Dream Theater - Octavarium
(75:48, Atlantic, 2005)

Dream Theater stecken mit jedem Album in einer bösen Zwickmühle, denn eigentlich können sie es niemals all ihren Fans Recht machen. War manchen das letzte Studiowerk "Train of thought" schlichtweg zu hart, so beschwerten sich andere über den zu großen Anteil an sinfonischen bzw. experimentellen Elementen auf "Six degrees of inner turbulence". Deswegen stieß logischerweise die Ankündigung im Vorfeld der Veröffentlichung von "Octavarium", dass man sich dieses mal wesentlich songorientierter in der Art von "Falling into infinity" bewegen wollte (nur eben gelungener), ebenfalls auf erhebliches Stirnrunzeln in einem Teil des Fanlagers. Doch alles halb so schlimm: "Octavarium" ist letztendlich ein Kompromiss bzw. die Verbindung von mehreren Elementen, hier wird ganz simpel gesprochen die Härte bzw. der Prog Anteil der Vorgängeralben in eine wesentlich songbasiertere Richtung gelenkt. Dies führt jedoch ebenfalls dazu, dass die 8 Songs auf dem aktuellen Longplayer beim ersten mal weit weniger beeindruckend auf den Hörer wirken, auch wenn die Jungs aus New Jersey natürlich ihrem grundlegenden Stil treu geblieben sind und durchaus in Nuancen Neues ausprobieren. So bleiben sie bei der Ballade "The answer lies within" noch in bereits gewohntem Terrain, während die rockig-flockige Mid-Tempo Nummer "I walk beside you" sich ansatzweise im U2 Fahrwasser bewegt. Aber auch die britischen Alternative Rocker von Muse haben ihre Spuren beim Dream Theater Personal hinterlassen. Vor allem "Never enough" weist im Schlusspart eindeutige Beeinflussungen von deren euphorisch überladener Rockinterpretation auf. Hinzu kommt, dass James LaBrie in einigen Passagen im Gesangsstil frappierend an den Muse Frontmann Matthew Bellamy erinnert, wenn er mit übertriebenem Pathos und überschlagender Stimme opernhaft schmettert. Diese Ausflüge bleiben jedoch die Ausnahme, beweisen aber einmal mehr, dass sich Dream Theater durchaus gegenüber neuen musikalischen Strömungen offen zeigen. Doch als nötigen Gegensatz gibt es natürlich ebenfalls gehörig was auf die Lauscher. Während der Opener "The root of all evil" die Härte von "Train of thought" in songdienliche Bahnen lenkt, bietet "Panic attack", dem Namen entsprechend, die Brachialattacke an Komplexität und Virtuosität. Doch auch in den anderen Songs findet man immer wieder Schnelligkeit, Heavyparts oder flotte Soli an Gitarre und / oder Keyboards, die aber weit weniger dominant in den Vordergrund treten als bisher gewohnt. Beim 25-minütigen Titelsong lassen sich Dream Theater nicht nur von einem Orchester unterstützen, sondern dieser Track weist zu Beginn eindeutige Reminiszenzen an Pink Floyd auf, während sich im zweiten Teil in schwelgerischen Prog Bombast gesteigert und mit ausufernden Instrumentalparts beeindruckt wird. Dennoch wurde hier eine Spur zu viel hineingesteckt, hätte dieser Monstertrack durchaus mit einigen Minuten weniger Spielzeit ebenso sein inhaltliches Ziel erreicht. So setzt "Octavarium" einerseits die typischen Dream Theater Elemente in leicht veränderten Variationen fort, was bei kritischer Sichtweise durchaus gewisse Ähnlichkeiten zu den Vorgängeralben erkennen lässt. Andererseits stimmt hier wieder mal die musikalische und spielerische Qualität, die einem Dream Theater bieten, was letztendlich doch für eine versöhnliche Gesamtbeurteilung sorgt, sofern man sich mit der songdienlichen Dream Theater Schiene anfreunden kann.

Kristian Selm



© Progressive Newsletter 2005