CD Kritik Progressive Newsletter Nr.51 (03/2005)

The Mars Volta - Frances the mute
(76:57, Universal, 2005)

Es gibt ihn also doch noch. Den Mut eines Majorlabels, sich auf den ersten Blick gänzlich unkommerzieller Musik zu widmen und einer Band totale künstlerische Freiheit zu gewähren. Wie sonst ist es wohl zu erklären, dass das aktuelle The Mars Volta Album "Frances the mute" aus lediglich fünf, ziemlich abstrusen Songs besteht, die sich mit der Ausnahme von "The widow, ausschließlich abseits der 10 Minuten Grenze tummeln und letztendlich im Album abschließenden, über 31-minütigen Psychedelic / Prog Rock Monsterwerk "Cassandra Gemini" gipfeln? Zudem liebäugelt die Band auch noch ganz locker und unverfroren mit allerlei weiteren Prog Klischees, wie z.B. fast alle Songs aus sehr eigenartig klingenden, bedeutungsschwangeren Untertiteln bestehen. Das Endresultat sollte sowohl der Plattenfirma, als auch der Band recht geben, überschlagen sich bisher die Kritiken in zustimmender Begeisterung oder staunender, ablehnender Fassungslosigkeit, gehört dieses Album in all seiner Konsequenz bereits jetzt schon zu den Highlights des noch jungen Jahres. Bereits der Vorgänger "De-loused in the comatorium" überdrehte auf recht ungewöhnliche Weise die Stilelemente verschiedenster Jahrzehnte, was auf dem aktuellen Werk noch weit konsequenter, jedoch auch ausgewogener fortgeführt wird. Auch wenn The Mars Volta immer noch gerne mit ungewöhnlichen Stilbrüchen zwischen modernem Alternative Rock, Emo Sounds, Latin Rock, Electronia und deutlichen Anleihen an den 70er Jahre Progressive und Psychedelic Rock arbeiten, so ist vieles auf "Frances the mute" weitaus schlüssiger und längst nicht mehr so überdreht. Na ja, nicht so überdreht in relativer The Mars Volta Betrachtung, denn andere Bands würden wohl niemals so wild und recht seltsam die verschiedensten Einflüsse derart zündend und rigoros vermengen. Dennoch ist "Frances the mute" ein Album mit vielen Gesichtern und Facetten, von Bombast bis Reduktion, von ausufernder Komplexität bis simpler Schlichtheit. Denn neben expressiver Ausgelassenheit, langgedehnten Soloparts, haben die Puerto Ricaner auch ihr Faible für mächtige Melodien weiter manifestiert. Als Ausgleich zu den lang angelegten Soloschlachten, gibt es hier ebenfalls griffige Hooks, die jedoch um eine Spur kerniger und wuchtiger, wie bei der Konkurrenz klingen. Leider finden The Mars Volta nicht immer ganz die richtige Balance in den Extremen. So sind viele Übergänge, die meist aus atonalen Spielereien oder Soundexperimenten bestehen, einfach viel zu lang geraten und stoppen somit den natürlichen Fluss des Albums. Weiterhin überzeugt nicht jedes Solo in seiner Gesamtheit, was aber aufgrund der recht langen Spielzeit durchaus noch verzeihbar ist. So wechseln bis zum ultimativen Longtrack "Cassandra Gemini" prachtvolle musikalische Interpretation, magische Momente wie z.B. der teils in spanisch gesungene Alternative Rock / Latin Schleicher "L'via l'viaquez" mit zum Teil etwas zu viel inhaltlichem Leerlauf ab, wirken neben allen guten Einfällen (u.a. mit Gastauftritten der Red Hot Chili Peppers Musiker Flea und John Frusciante), einige Ideen bisweilen eher zerreißend, denn verbindend. Doch dafür versöhnt nicht nur "Cassandra Gemini", die mit vielen Instrumentalteilen angereicherte Verbeugung vor den 70ern (u.a. feiert sogar das Mellotron seine Auferstehung), welches dem Album genau jenen letzten Kick verpasst, der auf gesamte Lauflänge für ein absolutes Meisterwerk gesorgt hätte. Aber auch so haben The Mars Volta mit "Frances the mute" für den offenen Hörer von modernen Trends im Retrosound einiges zu bieten - trotz aller Längen definitiv ein Klassealbum!

Kristian Selm



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