CD Kritik Progressive Newsletter Nr.50 (12/2004)
Pain Of Salvation - Be
(75:53, InsideOut, 2004)
To Be or not to Be: Zwei kategorisch unterschiedliche Zustände. Bisweilen auch für Progrezensenten. Einerseits ist man also geständiger, kniefälliger Fan dieser Band und zählt etwa "Remedy Lane" oder "12:5" zu den lust- und sinnstiftenden Größen in einer von Massen teils recht unerfreulicher Musik erfüllten Welt. Andererseits wirkt "Be" auch nach jetzt etlichen Wochen auf meinereiner wie die kopiergeschützte Promo-Vorabfassung eines POS-Albums, bei der ständig jemand bei der Musik dazwischenlabert, damit man sie nicht verhökern oder online publizieren kann. Doch das Unbehagen beginnt schon früher: Sobald man "Be" in die Hand nimmt, anhört und im buchstarken Booklet zu lesen beginnt, begreift man, dass es ein Konzept gibt - ANSPRUCH formt sich unaufhaltsam vor dem geistigen Auge in einer Schriftgröße wie die Vorspänne bei den "Starwars-Kinofilmen". Das muss POS-Mastermind Daniel Gildenlöw geahnt und in Kauf genommen haben, als er schrieb: "Get ready for one of the most unique and mind-blowing creations ever to have been ignored by mainstream press". Das zugrundeliegende Konzept also dreht sich um nichts Geringeres als um das Mysterium des menschlichen Daseins selbst. Und selbst wen die im Booklet mitgelieferte Liste von für dieses Album ausgelieferte Quellliteratur (mehr als für manch eine Dissertation, sagt Doc Prog) noch nicht verstören, wer auch über den Belehrungen über die auf neun Seiten des vorläufigen Booklets ausgebreiteten 1.000 Fakten und (Zwangs-)Vorstellungen zu diesem Album angetrieben haben, noch nicht die Lust an Rockmusik verloren hat, der geht in der - teils traumhaft ästhetischen, aber immer wieder zerrissenen - Musikerfahrung dann spätestens doch immer wieder verloren. POS verstehen es grundsätzlich, noch im finstersten Dunkeln leuchtende Musik und luzide Texte so zu verbinden verstehen, dass man manchmal vor Glück weinen möchte. Doch immer wenn der Band auf "Be" gerade dieses Stück Magie gelungen ist, löst sie diese mit den permanenten, nervigen "Doku"-Einspielungen, Samples, Nachrichtendurchsagen etc. wieder auf, die dieses Album durchgängig kennzeichnen. Oder noch knapper: Was Daniel und Co. mit den Händen aufbauen - etwa der melancholische Zauber des Pianostücks "Pluvius Aestivus" (unter Lateinisch oder Altägyptisch geht hier diesmal halt gar nix) -, reißen sie permanent mit dem Arsch wieder ein. Das mag Bestandteil des (Brechtschen Desillusionierungs-)Konzeptes sein, ist aber trotzdem schade. Irgendwann mag man sich dem Kapitän auf dieser Reise halt nicht mehr hundertprozentig anvertrauen, sich nicht mehr einfach treiben lassen. Dabei sind die besuchten Gestade hochspannend, z.B. mittelalterliche Musik ("Imago"), fette Kirchenorgelschwaden ("Omni"), Gospelanverwandlungen ("Nauticus"), Musicalfetzen ("Dea Pecuniae"), aber auch - gottseidank - POS-typischer Progmetal ("Nihil Morari") und Gildenlöw-Showpieces an selbstzerrissenem, wiewohl unglaublich ästhetischem Wohlklang ("Diffidentia" oder das sterbensschöne "Iter Impius" - inclusive neunköpfigem Kammerorchester) wehen vorbei. Auf der anderen Seite aber besteht etwa "Vocari Dei" im wesentlichen aus Nachrichten an Gott, die POS-Fans auf einen Anrufbeantworter aufgesprochen haben, garniert im Ambient Dub Mix. Das ist wahrlich "mind-blowing", denn das tut echt weh. Vom reinen CD-Erleben aus betrachtet schwankt man zwischen wenig Wolllust und viel Irritation. Als vertontes Dokudrama hingegen LIVE genossen (wie das die Einwohner von Gildenlöws schwedischer Heimatstadt drei Wochen lang zu insgesamt zwölf Gelegenheiten konnten) mag die Gleichung ja plötzlich aufgehen und die größte Konzeptshow nach "Operation Mindcrime" ergeben. Eine für Anfang 2005 geplante DVD des Ereignisses soll und wird es auch für uns erweisen...
Klaus Reckert
© Progressive Newsletter 2004