CD Kritik Progressive Newsletter Nr.50 (12/2004)
Thinking Plague - Upon both your houses
(72:11, Nearfest Records, 2004)
Das North East Art Rock Festival, kurz NEARFest, ist eines der erfolgreichsten Progressive Rock Festivals der Gegenwart. Jedes Jahr treten dort Bands auf die Bühne, die durch eigenwillige, hochqualitative Musik auffallen und dort grandiose Konzerte geben. Die Vibes werden vom Publikum aufgesogen und positiv zurückgegeben. Besser kann es ein Musiker nicht haben, die Fanschar im Auditorium auch nicht. Entsprechend gut ging das Set ab, das Thinking Plague am Sonntag, dem 18. Juni 2000 im Zoellner Arts Center in Bethlehem, PA, gegeben haben. Schon ohne Bob Drake, der ein paar freundschaftliche Worte ins Booklet schrieb, präsentierte die Band eine ausgezeichnete Setlist. Mike Johnson (g), Dave Kerman (dr), Mark Harris (sax, reeds), Deborah Perry (voc), Matt Mitchell (p, key) und Dave Willey (b, acc) spielten die Songs anders, als sie auf den Studioalben auf CD verewigt sind. Die Arrangements wurden für Konzerte umgeschrieben, damit sie überhaupt auf der Bühne reproduzierbar, spielbar waren. Dennoch sind die Songs gut zu erkennen, wenn auch so manch neuer Einfall für veränderte Struktur sorgt. 6 Stücke stammen vom Meisterwerk "In extremis", ein meditatives Pianosolo und einige ältere Songs kommen hinzu. Eigentlich hätte ich mir dieses Release auch als DVD gewünscht, um einmal SEHEN zu können, wie die Band ihre extrem komplexen Songs auf der Bühne interpretiert. Doch keine Frage, die CD macht großen Eindruck. Das homogene Spiel der Band, das nahtlose Ineinanderfließen der versetzten Tonfolgen und aufgesplitteten Arrangements sind einfach hinreißend. Mit "Hamster dance" ist eine überarbeitete Version eines Hamster Theatre Songs (Dave Willeys Projekt) perfekt integriert dabei. Im Anschluss daran spielt Matt Mitchell das improvisative, lyrisch-markante "Piano Solo". Nahtlos klingt die Band sich ein und spielt "Kingdom Come", den zweiten Longtrack von "In extremis", der dort etwas untergeht, weil das obergeniale "Les etudes d'organism" ihm vollkommen die Schau stiehlt. Gerade "Kingdom Come" zeichnet sich durch runderneuertes, hypnotisierendes Arrangement aus. Hier kommt Mike Johnsons Gitarre zum Einsatz, wie sie nie zuvor zu hören war. Umwerfend! Diese Version ist zum Sterben schön!! Markant ist Thinking Plague durch und durch sowieso. Die Band um Mike Johnson, der fast sämtliche Songs und Arrangements schrieb, arbeitet stets einen unerforschten Kosmos wilder musikalischer Dimension aus. Und doch gibt es eine Qualität in dieser Band, die ganz und gar besonders ist. Der Gesang von Deborah Perry. Das ist wiederum Mike Johnson zu danken, der ihr diese Gesangslinien "auf den Leib" geschrieben hat. Die Texte fließen mit der Musik, als seien sie ein weiteres Instrument, von einer rauen, ausdrucksstarken, wunderbaren Stimme gesungen. Danke an die NEARFest Betreiber, dass sie endlich ein Label gegründet haben, um die grandiose Musik im erst etwas dünnen, aber schon während des ersten Songs sich sehr gut entwickelnden Livesounds weltweit zugänglich zu machen.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2004