CD Kritik Progressive Newsletter Nr.49 (08/2004)
Marillion - Marbles
(68:10, Intact, 2004)
"Anoraknophobia", ihr letztes Album, ließen sich Marillion von ihren Fans vorfinanzieren, dieses mal nutzten sie den Vorschuss für eine ausgiebige Medienkampagne. An innovativen Ideen hat es Marillion noch nie gemangelt. Das geht dieses mal sogar so weit, dass man die Doppel CD, sowie die Special Edition mit Buch ausschließlich zu saftigen Pfundpreisen über die bandeigene Seite bestellen kann, die einfach CD erhält man dafür auf den 'normalen' Weg. Ob sie auf diese Art nun ihre Fans als Unterstützung verwenden oder sie eher missbrauchen, bleibt jedem selbst nach der eigenen subjektiven Sicht der Dinge überlassen. Deswegen lieber zu dem Thema, um was an dieser Stelle eigentlich ursprünglich geht, nämlich der Musik der Briten. "Marbles" bietet eine wunderbare Vermischung von weitausladender, atmosphärischer Rockmusik und wohl durchdachten, bisweilen poppigen Melodien. Dennoch wirkt hier nichts auf Erfolg getrimmt, sondern selbst die eingängigen Ideen kommen in ansprechender Qualität, ohne Peinlichkeiten daher. So hat vor allem das als Single ausgekoppelte "You're gone" richtige Ohrwurmqualitäten, die sich aber erst ganz langsam entwickeln. Seit langer Zeit ist es Marillion endlich mal wieder gelungen, ein in sich stimmiges und ruhendes Album zu produzieren, welches gleichzeitig auf aktuelle Sounds und Loops zurückgreift, genauso aber auf das vertraut, was Marillion in den letzten Jahren immer noch am besten konnten: nämlich stimmungsvolle, meist ruhige, zurückgenommene Musik zu schreiben. Vor allem eines der untrüglichen Markenzeichen, nämlich die Gitarre von Steve Rothery klingt endlich wieder so wunderbar verträumt jubilierend, wie zu besten Zeiten, nur noch selten wird mit anderen Sounds herumexperimentiert. Mit den beiden längeren Tracks "The invisble man" und vor allem "Neverland" beweisen Marillion zudem, dass immer noch sehr gute atmosphärisch schlüssige Songs schreiben können. "Marbles" liefert gleichzeitig genügend Punkte, warum man dieses Album einfach mögen muss, wie es ebenfalls einiges an Angriffsfläche für die Kritiker der Band bietet. Hier gibt es keineswegs überladene, hochkomplexe Songstrukturen, aggressive Passagen, noch das Ausbrechen aus dem eigenen Gesamtkonzept, sondern die Engländer vertrauen vor allem auf behutsam aufgebaute Stimmungen, bei der vor allem die immer etwas verschlafen und leicht weggetreten wirkende Stimme von Steve Hogarth im Vordergrund steht. Das mag je nach Neigung und Stimmungslage genau das richtige sein oder einfach nur den Eindruck von langgedehnter Langeweile erzeugen. Es kommt eben nur auf den eigenen Blickwinkel an. So wirken in den längeren Songs manche Übergänge nach ungewollter Fragmentierung, wurden zudem einfachste Ideen ziemlich breit ausgewalzt.. Wie gesagt, man kann dies als Kritik oder als gelungene, stimmungsschaffende Interaktion werten und empfinden. Noch eine abschließende Bemerkung zu den vier Titeln, die man ausschließlich auf der Doppel CD erhält: bis auf den knapp 18-minütigen, durchaus spannend gestalteten Longtrack "Ocean cloud" rechtfertigen die anderen Titel eigentlich nicht den teuren Kauf der doppelten Packung. Andererseits werden die sammelwütigen Fan keineswegs um diesen Kauf herumkommen, da natürlich gerade "Ocean cloud" schmerzlich auf der Einfachausgabe vermisst wird. So kommt im Gesamteindruck wieder mal der langjährige, wenn auch nicht unkritische Marillion Fan bei mir durch: "Marbles" ist endlich mal wieder ein Marillion Album, welches bis auf kleinere Durchhänger, in seiner Gesamtheit überzeugen kann. Inwieweit sich die durch die Fans gesponserte Marketingkampagne letztendlich positiv auf die Zukunft von Marillion auswirkt, wird man sehen. Vielleicht sorgen ja endlich wieder ordentliche Verkaufszahlen für die Finanzierung des nächsten Studioalbums.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2004