CD Kritik Progressive Newsletter Nr.35 (05/2001)
Marillion - Anoraknophobia
(63:42, EMI, 2001)
Dass Marillion nach der Rückkehr zu EMI auch zu ihren ursprünglichen musikalischen Wurzeln zurückkehren, dass hatte niemand ernsthaft erwartet, doch den erneuten, teils recht drastischen Stilwechsel auf "Anorknophobia" (versehen mit einem etwas eigenartigem Artwork als Mischung aus Teletubbies und South-Park) hatte so auch bestimmt niemand von den Engländern erwartet. Bereits in den letzten Jahren erfolgte bei Marillion immer mehr ein Anpassung an moderneren Strömungen, doch das neue Album ist zum Großteil wirklich anders als das bisher gehörte (vom Vertrieb etwas ungelenk umschrieben als Vereinigung aus Motiven von Jazz, Rock, Country, Folk, Dub und Funk), auch wenn man immer noch einige unverkennbare Merkmale der Band zu hören bekommt. Gelieben ist zumindest die leicht melancholische, typische Marillion Atmosphäre, die in vielen Songs immer noch durchscheint. Die Songs leben dann von ihrer stimmungsvollen Klangfarbe, vom leider viel zu wenig benutzten ab- und anschwellenden Bombast. Schöne, gut anhörbare Melodien gibt es ebenfalls zuhauf, doch selbst nach wiederholtem Anhören fehlt es "Anoraknophobia" an etwas Einheitlichem, Unverwechselbaren. Gut produziert, solide arrangiert, aber leider bleibt bei der Musik zu wenig hängen, auch wenn das Album nach mehrmaligem Hören durchaus an Qualität gewinnt. Auf dem aktuellen Longplayer sucht die Band ihr Glück auf der einen Seite in mehr kommerzielleren, eingängigen Nummern (z.B. "Map of the world", "When I meet god" oder auch die rockigeren "Between you and me" oder "Separated out"), auf der anderen Seite stehen anspruchsvolle Rockcollagen, wie z.B. das sacht aufgebaute, sich ständig steigernde "This is the 21st century", das leicht abgedrehte "If my heart were a ball it would roll uphill" oder das von bluesigen Einfällen durchzogene "The fruit of the wild rose". Doch irgendwie wird man das Gefühl nicht los, das Marillion auf der Suche nach etwas sind - vielleicht die Anpassung an den musikalischen Zeitgeist? - sie aber noch nicht angekommen sind und dadurch immer mehr ihre eigene Identität verlieren, sich stilistisch selbst verwässern, den Anschluss an Bands wie z.B. Radiohead oder Porcupine Tree scheinbar verpasst zu haben. Schöne Melodien und Songs können sie zweifellos immer noch schreiben, aber die Magie, die man noch auf "Brave" oder teils in abgewandelterer, neuen Form auf "This strange engine" hörte, scheint bei der neuesten CD viel zu selten durch. "Anoraknophia" ist zwar zeitlose, anspruchsvolle, unheimlich melodische Rockmusik, es fehlen aber Haken und Ösen oder wirkliche Highlights, die mehr aus diesem Album machen könnten. So sind die Resonanzen auf dieses Album bisher recht gemischt. Auf der einen Seite sind einige Kritiker recht angetan von der "neuen" Ausrichtung, anderen bleibt nach dem Anhören einfach zu wenig hängen. Keine Ahnung, was die Zukunft für Marillion bringt - man darf und muss wohl immer mit Überraschungen bei dieser mittlerweile völlig unberechenbaren Band rechnen. Es bleibt ein großes Fragezeichen.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2001