CD Kritik Progressive Newsletter Nr.48 (04/2004)
Shaun Guerin - The epic quality of life
(52:22, Clearlight Music, 2003)
Es ist nicht gerade leicht, eine Rezension über einen Musiker zu schreiben, der erst kürzlich verstarb. Irgendwie bremst einen dabei immer das schlechte Gewissen, nicht zu kritisch zu sein, da sich der dementsprechend Kritisierte ja schließlich nicht mehr wehren kann. Anderseits weiß man natürlich auch nicht, ob diese Nachlassenschaft etwas überhastet zu Ende gestaltet wurde, ihr einfach die nötige Zeit zum Reifen fehlte. Deswegen erst zu den Fakten: "The epic quality of life" ist das zweite Soloalbum des amerikanischen Multiinstrumentalisten Shaun Guerin. 2002 legte der ehemalige Sänger der Genesiscoverband Cinema Show bereits mit "By the dark of light" einen ansprechenden Erstling vor, der selbst in der kleinen Proggemeinde völlig zu Unrecht lediglich Beachtung in Insiderkreisen fand. Der Nachfolger ist im wahrsten Sinne des Wortes "auf den ersten Blick", eine Fortsetzung des Debüts. Das Artwork stammt nämlich wiederum von Paul Whitehead, u.a. der Layouter der frühen Genesis Alben. Musikalisch gab es dafür nicht nur in der Besetzung Änderungen. Nachdem Guerin sein Debüt fast komplett im Alleingang einspielte - und das wirklich nicht schlecht - wird er dieses mal tatkräftig von John Thomas an der Gitarre, Matt Brown an den Keyboards und Dan Shapiro am Bass unterstützt. Komischerweise wirkt das Album aber dennoch insgesamt weniger harmonisch, inhaltlich weniger geschlossen, als der vorherige Alleingang. Stilistisch darf es dafür dieses mal teilweise komplexer sein, als Grundlage dienen aber immer noch harmonische, melodiebetonte Strukturen aus dem weiten Feld des sinfonischen Progressive Rocks. Über dem ganzen Album liegt ein melancholischer, trauriger Unterton, der aber erst gegen Ende des Albums in den Songs richtig funktioniert. Ansonsten kann man vor allen den Gesangspassagen eine gewisse Schläfrigkeit attestieren, die sich zuweilen bis in die Musik hineinzieht. Eigentlich komisch, denn Shaun Guerin verfügt wirklich über eine sehr gute Stimme. Mancher Einfall wirkt nicht zu Ende gedacht, klingt nach angezogener Handbremse, kann im Gesamteindruck nicht das Versprechen des Vorgängers einlösen. Hinzu kommt leider ein eher verhaltener, schwachbrüstiger Sound, dem der rechte Druck nach vorne fehlt. Doch nach so viel Kritik, die schlimmer klingt, als sie im Endeffekt gemeint ist, zu den vielen positiven Dingen. Keineswegs sollte unerwähnt bleiben, dass besonders gegen Ende des Albums (der Bonustrack "Red zone" ist definitiv der Killertrack des gesamten Albums), in den Instrumentalpassagen oder beim Instrumental "The edge of the earth" (übrigens auch als Livevideo enthalten) wirklich mitreißende Qualität zu finden ist. Zum einen war Guerin ein ausgezeichneter Drummer, zum anderen scheinen seine Qualitäten mehr in spannender Interaktion der Instrumente zum Tragen zu kommen. Da verzeiht man auch gerne, dass z.B. der Opener "The epic quality of life" seine Inspiration kurzfristig beim Yes Klassiker "Heart of the sunrise" holte. So wären wir wieder beim eingangs angesprochenen Dilemma. Es ist absolut schade dieses Werk zu kritisieren, denn leider hat Shaun Guerin keine Chance mehr, das Beste aus seinen beiden Soloalben zu etwas wirklich Starkem zu verbinden. Das Potenzial war auf jeden Fall da, so bleibt bei diesem letzten musikalischen Lebenszeit leider ein etwas fader Beigeschmack, insgesamt kommt der Vorgänger "By the dark of light" um einiges besser weg.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2004