CD Kritik Progressive Newsletter Nr.46 (10/2003)
Poor Genetic Material - Winter's edge
(52:56, quiXote Music, 2003)
Poor Genetic Material gehören mit Sicherheit zu den entwicklungsfreudigsten Bands in der deutsche Progressive Rock-Szene: Basierten die ersten beiden Alben "Free to random - Vol. 1" (1999) und "Free to random - Vol. 2: Modern myths" (2000) auf dem ureigenen Konzept der Musicscapes (eine Variante der Soundscapes, die neben der frei schwebenden, auch eine zusätzliche melodiebetonte Ebene enthält), verwendeten Philipp Jaehne und Stefan Glomb auf dem dritten Album "Summerland" (2001) mit Unterstützung von Ludwig Benedek und des Sängers Phil Griffiths (beide Alias Eye) songorientiertere, fast poppigere Strukturen, deren Grundlage immer noch die Klänge der ersten beiden Alben wären. Auf "Leap into fall" (2002) forcierte sich diese Metamorphose: Durch den Bassisten Dennis Sturm kamen deutlich rockigere Elemente hinzu, insgesamt agierte die Formation (sicherlich auch durch sound- und produktionstechnische Verbesserungen) deutlich druckvoller und akzentuierter. Für ihr neuestes Album "Winter's edge" haben sich die Südwestdeutschen einen besonderen Mix aus alten und neuen Stilelementen einfallen lassen. Zum einem findet man auf "Winter's edge" wieder so viele instrumentale, atmosphärische Musicscapes- Passagen wie seit dem Album "Modern myths" nicht mehr, zum anderen ist Dennis Sturm nun musikalisch wesentlich dominanter und harmoniert mit Ludwig Benedeks Drumming deutlich besser. Die auf "Leap into fall" angedeuteten Fusion- Elemente, werden nun mutiger in den Vordergrund gebracht. Durch das Einbringen elektronischer Sounds und Beats, wirkt das Album generell rhythmisch variabler und - und dies ist wirklich eine Neuerung - weniger linear und weniger straight durchkomponiert, verschachtelter, - und hier ist der Rückgriff auf alte Formen - somit improvisierter und freier in der Form. Wie immer ist das Resultat bei Poor Genetic Material eine kluge Evolution aus den vergangenen Alben und neuen Ideen und künstlerischen Konzepten. Keiner, der das Erfolgsalbum "Leap into fall" mochte, wird sich durch "Winter's edge" vor den Kopf gestoßen fühlen, im Gegenteil: Die Band vermeidet bloße Reproduktionen und überrascht den Zuhörer mit neuen Ideen, ohne die ureigene Federleichtigkeit des Sounds zu verlieren oder die typischsten Elemente, die unverkennbaren, ausdrucksstarken Vocals Griffiths und die betont unaufdringlichen, old- stylishen Keyboards Jaehnes, in den Hintergrund drängen zu lassen. Eine letzte Bemerkung zum äußerst gelungenen Artwork, für die sich dieses Mal Oliver Schollenberger verantwortlich zeigt, der Motive seiner durch die Musik des Albums inspirierten Bilderserie "Winter's edge" verwendet hat, die auch bereits auf einigen Ausstellungen zu sehen war.
Sal Pichireddu
© Progressive Newsletter 2003