CD Kritik Progressive Newsletter Nr.44 (06/2003)

Litto Nebbia - Hunica + Despertemos en América
(76:01, Record Runner, 1972/73)

Litto Nebbia wurde bereits im letzten Heft mit seiner 77er Veröffentlichung "El vendedor de promesas" vorgestellt. Das vorliegende Album, wiederveröffentlicht von Record Runner, umfasst nun zwei seiner Projekte aus den Jahren 1972/73, nämlich "Huinca" - eine vierköpfige Bandeinspielung in klassischer Besetzung - sowie ein Soloalbum des Multiinstrumentalisten, bei dem er jede Menge Gäste u.a. an diversen Percussionsinstrumenten und Saxophon ins Studio einlud. Der bei uns recht unbekannte Musiker war so etwas wie der erste Rockpionier Argentiniens, formierte er doch Mitte der 60er Jahre die legendäre Band "Los Gatos", die als erste Band mit in spanisch vorgetragenen Eigenkompositionen damals für einiges Aufsehen in der Heimat sorgte. Auf den beiden zusammen auf einer CD veröffentlichten Werken "Huinca" und "El vendedor de promesas" findet man deutlich progressiv inspirierten Rock und Hard Rock in songorientierten Kompositionen mit zum Teil liedhaften Charakter. Die Musik von "Huinca" ist ganz deutlich im Rock fundamentiert, aber fette Hammondorgel und ausschmückendes instrumentales Beiwerk mit leichtem Jazz Rock und Blueseinschlag, zeigen ganz deutlich an, dass man im Land nördlich des Rio de la Plata nicht einfach nur auf die straighte Rockschiene setzte. Der leicht melancholischer Grundeinschlag sorgt für eine traurige Atmosphäre, besonders natürlich dann, wenn die Band auch spieltechnisch den Blues hat. Dabei weckt der spanische Gesang nicht von ungefähr Erinnerungen an zu jener Zeit ähnlich agierende Bands aus Südeuropa. Auf den gesamten Aufnahmen liegt jede Menge Staub der Zeit, vor allem gegen Ende der CD muss man sogar mit klanglichen Übersteuerungen leben, den Aufnahmen hört man eben recht deutlich an, dass sie mehr als 30 Jahre auf dem Buckel haben. Doch wenn Litto Nebbia gefühlvoll die Saiten heulen lässt oder inbrünstig seine Stimme erhebt, dann hat der Ruf aus der Vergangenheit noch die Kraft, auch heute gehört zu werden. "Despertemos en América" ist wesentlich spartanischer und folkiger arrangiert, ist so etwas wie die akustische Fortführung von "Huinca", wobei hier in den liedhaften Charakter gelegentlicher Jazzeinschlag eindringt. Durch die in den Vordergrund gesetzte Stimme und ihren anklagenden Charakter, bekommt das Ganze eine Note, die nach politischem Protestgesang klingt, ohne dass ich jedoch mangels entsprechender Spanischkenntnisse verstehen kann, um was es wirklich geht. Inhaltlich wirkt dies keineswegs so überzeugend, wie "Huinca". So sind die beiden Alben stilistisch nicht unbedingt gleich angesiedelt, durch die logische inhaltliche Verbindung macht es aber durchaus Sinn, sie auf einen digitalen Tonträger zusammenzupacken. Gegen Ende jeder LP geht diesen etwas der Dampf, der letzte inspirative Elan verloren. "Deserpertemos en América" ist insgesamt vielleicht doch eine Spur zu akustisch-folkig geraten, manches klingt einfach zu beliebig. Wer sich jedoch in angetagten Orgel- und Gitarrenklängen der 70er gerne verliert, ein Faible für Klänge aus südlichen Gefilden hat, sollte hier eventuell mal einen Versuch wagen.

Kristian Selm



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