CD Kritik Progressive Newsletter Nr.43 (03/2003)
Litto Nebbia - El vendedor de promesas
(50:36, Melopea Discos, 1977)
Litto Nebia war als Mitglied der legendären Los Gatos, einer der Pioniere der argentinischen Rockmusik. Mit dem 1967 erschienen "La Balsa", sowie mehr als 200.000 verkauften Exemplaren, gelang ihnen damals der Durchbruch für spanischsprachige Rockmusik in ihrer Heimat. Bereits 1969 verließ er jedoch die Band aufgrund musikalischer Differenzen und wirkte seit dem auf mehr als 100(!), stilistisch sehr unterschiedlichen Platten mit. Anfang der 70er verfolgte er mit dem Litto Nebia Trío immer mehr seiner Leidenschaft zum Jazz, wie er ebenfalls über die Jahre diverse Soloalben aufnahm. Eines dieser Soloalben, nämlich das 1977 erschienene "El vendedor de promesas" liegt jetzt zum ersten mal als CD vor. Das Konzeptwerk, welches von Melancholie, Leidenschaft und Emotionen geprägt ist, wurde von den Werken und Texten der Dichterin Mirtha Defilipo inspiriert. In einer Mischung aus Sinfonic Rock und Fusion, gepaart mit südamerikanischer Verspieltheit, wird es von der Plattenfirma auf eine Stufe mit "Tales from topographic oceans" von Yes gestellt und als das insgesamt beste Werk des Mannes aus Rosario angepriesen. Doch dieser Vergleich führt zumindest in musikalischer Hinsicht total in die Irre. Nebbia, der neben Gesang und Gitarre, vor allem ein großes Arsenal von Tasteninstrumenten einbringt, konzentrierte sich zwar auf dem ursprünglichen Album auf zwei LP-seitenfüllende Kompositionen, doch ist sein Ansatz lyrischer, entspannter und vor allem wesentlich jazziger. Dies heißt jetzt keineswegs, dass man hier schwerverdauliche Soloeskapaden aufgetischt bekommt, vielmehr erinnert sein Stil etwas an Happy The Man, denen es auch gelang sinfonisches und jazziges progressiv zu verbinden. Nebbia wird in klassischer Triobesetzung zwar von Néstor Astarita am Schlagzeug und Jorge Gonzales am Bass unterstützt, doch seine Aktionen stehen eindeutig im Vordergrund. Das Rhythmusduo agiert unauffällig, aber effektiv im Hintergrund. Der spanische Gesang sorgt für eine weitere emotionale Komponente, denn in seiner Muttersprache legt Nebbia sehr viel Gefühl und Tiefe hinein, ohne ihn dabei unbedingt als herausragenden Sänger einstufen zu können. Doch immer wieder blitzen auf diesem Album magische fusionhafte bzw. klassische Momente auf, die gelegentlich an Keith Emerson erinnern. Vor allem in den lebendigen Soloteilen dürfen die Tasten das ein ums andere mal interessante Akzente setzen. Über weite Strecken ist die Musik eher im Mid-Tempo Bereich, dabei aber beschaulich, doch hüpfend-lebendig gehalten, ohne in belanglosen Kitsch abzugleiten, was man ja leider so oft bei brasilianischen Produktionen bemängeln muss. Besonders der Jazz-Einfluss in vertretbarer Ausprägung tut dem Album sichtlich gut, auch wenn man hier keineswegs ein Feuerwerk an Tempo und Komplexität erwarten sollte. Diese Wiederveröffentlichung, die liebevoll von Viajero Inmovil im Mini LP Format auch optisch ansprechend aufbereitet wurde, offeriert einmal mehr den Beweis, dass es auch außerhalb Europas und Nordamerikas durchaus interessante Alben zu entdecken gibt. Dass die drei Bonustracks dabei nicht mehr als eine nette Dreingabe sind, fällt weniger schwer ins Gewicht, denn das ursprüngliche Werk "El vendedor de promesas" lässt die 70er Jahre einmal mehr erstrahlen.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2003