CD Kritik Progressive Newsletter Nr.42 (12/2002)
Godspeed You! Black Emperor - Yangui U.X.O.
(75:00, Constellation, 2002)
Ist das überhaupt noch Musik? Wann passiert denn da endlich mal was Interessantes? Scharlatane oder experimentelle Soundtüftler, die Meinungen über das kanadische Ensemble Godspeed You! Black Emperor gehen sehr weit auseinander. Was für die einen nur eine leere Aneinanderreihung eines bedeutungsschwangeren Nichts ist, dem attestieren die anderen eine innere Spannung, die in überaus langsamer, sehr langsamer Weise immer mehr gesteigert wird und in fulminanter Ekstase, Erlösung gipfelt. Man sollte also vorsichtig sein, wenn man sich der Musik von Godspeed You! Black Emperor nähert und das ist auch mit "Yanqui U.X.O." keinesfalls anders. Wieder arbeitet sich die vielköpfige, franco-kanadische Band in extremer Trägheit voran, werden durch sachte Dynamiksteigerungen bedrohliche Atmosphäre geschaffen, die nur darauf warten, langsam noch weiter gesteigert zu werden. So besteht das komplette Album, bös gesprochen, eigentlich nur daraus, gewaltige Soundmonster aufzubauen, sie eine Weile am Leben zu erhalten, um sie unerschrocken wieder zu zerstören, in sich zusammenfallen zu lassen und wieder von vorne zu beginnen. Godspeed You! Black Emperor schaffen dies mit minimalen Mitteln, dennoch wirken ihre Krachorgien durchstrukturiert und auf "Yanqui U.X.O." eine Spur weniger sperrig, als beim hervorragenden Vorgänger "Lift yr. skinny fists like antennas to heaven". Vor allem durch Gitarre und diverse Streichinstrumente wird eine traurige, anhaltende Spannung erreicht, die sich komplett außerhalb "normaler" musikalischer Konvention bewegt. Die eigenwillige Covergestaltung mit vielerlei versteckten Botschaften, sowie eigenartige Songtitel, wie z.B. "09-15-00" (wobei sich dahinter der Tag verbirgt, an dem Ariel Sharon mit 1.000 Soldaten gen der heiligen islamischen Stätte Al-Haram Ash-Sharif zog und eine neue Intifada provozierte, was aber keineswegs antisemitsch gemeint ist) passen da ins ungewöhnliche Gesamtbild. Auch der Albumtitel lässt Interpretationen für politischen Botschaften offen. "Yanqui" wird von den Mexikaner als Äquivalent für den Krieg von 1846-47 mit den U.S.A. benutzt, der bis heute in Mexiko einen tiefen Hass auf die "Yankees" hinterlassen hat. "U.X.O." ist die Abkürzung für "unexploded ordnance", wobei sich dahinter Landminen oder Splitterbomben verbergen, was wiederum eine direkte Verbindung zum Cover ermöglicht. Doch ist "Yanqui U.X.O." ebenfalls eine Weiterentwicklung des eigenen musikalischen Konzeptes, denn zum einen wurde komplett auf Soundschnipsel und Einspielungen verzichtet, zum anderen ist minimal mehr Rhythmus, sind mehr Melodien zu erkennen. Zur großen Überraschung enthält das Album als Schlusspart ein richtiges, sehr rhythmisches Lied, dass sogar "normalen" Konventionen standhält. Auf jeden Fall wiederum ein erstaunliches Werk, dass die Kritiker zum Großteil bestätigt und die Fans begeistern wird.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2002