CD Kritik Progressive Newsletter Nr.41 (09/2002)
Electric Orange - Abgelaufen!
(72:08, MPL, 2001)
So trifft man sich wieder. Vor einigen Jahren fiel mir beim CD Händler meines damaligen Vertrauens das namenlose Debüt von Electric Orange in die Hände. Und irgendwie hatte diese Mischung aus 70er Krautrock mit frühen Pink Floyd Anleihen etwas - bestach durch eine ganz eigene Faszination, wirkte teilweise wie ein Soundtrack für den Kopf. Über die folgenden Jahre verlor ich die Band leider aus den Augen, kriegte irgendwo noch am Rande mit, dass sie bei Delerium Records, dem ehemaligen Porcupine Tree Label, einiges veröffentlichten, doch ein email von Dirk Jan Müller Mitte Mai diesen Jahres, mit der Offerte mir das aktuelle Werk "Abgelaufen!" zukommen lassen, kam dann doch einigermaßen überraschend. Was hat sich nun im Vergleich zum 93er Debüt verändert (da mir leider der Backkatalog der chronologischen Entwicklung nicht vorliegt)? Gelieben sind die typischen 70's Sounds mit z.B. Hammond, Mellotron und schwebenden Gitarrenakkorden, die groovigen, teils monotonen, sich vehement eingrabenden Rhythmen, die langen Kompositionen, die sich bis auf 15 Minuten ausdehnen. Doch auf gewisse Weise klingen Electric Orange durchaus aktuell, was sicherlich am soundtechnischen Revival durch Post Rock und den vermehrten Rückgriff auf 70's Elemente in der allgemeinen Musikentwicklung zurückzuführen ist. Einflüsse aus der aktuellen Elektronikmusik sorgen zudem für einen zeitgemäßen Anstrich. "Abgelaufen!" ist seiner Entstehungsgeschichte ebenfalls einen eigenen Weg gegangen. Es handelt sich bei den acht Titeln hauptsächlich auf Sessions basierende Ideen, die zwischen 1999 und 2000 aufgenommen und später im Studio bearbeitet wurden. Durch das Mastering von Eroc bekam das Album zum guten Schluss einen sehr transparenten Klang verpasst, womit die spröden Klänge, die bis hin zum Experimentellen verdreht werden, die nötige Tiefe erreichen. Beginnt der Opener "Off" noch mit mächtigem Groove, gräbt sich dort das faszinierende Duell von Gitarre und Hammond sofort ins Gedächtnis ein, so sind die nachfolgenden Titel, doch um einiges abweisender, muss man sich mit der experimentellen Gratwanderung erst anfreunden. Keine leichte Kost, doch der psychedelische Grundcharakter, die langsam kriechende Songentwicklung verleiht der Musik einen interessanten Aspekt, bei der man dann doch irgendwie fasziniert länger zuhört. Doch spätestens, wenn bei "Golden lake" wieder kräftig in der floydigen End 60er und Früh 70er Kiste mit nachvollziehbarer Rhythmik gekramt wird, sich Hammond und Samples mit Macht und Überzeugung in die Gehörgänge graben, dann strahlen Electric Orange mit voller Kraft. So ist man als Hörer hin- und hergerissen zwischen echten "Songs" und mehr gewagteren "Reisen", beide sicherlich mit Daseinsberechtigung. Ein Album das Grenzen auslotet, kompromissloser wirkt. Wer sich an der Psychedelic Grenze entlang hören möchte, bekommt hier das richtige Futter für die Ohren.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2002