CD Kritik Progressive Newsletter Nr.41 (09/2002)
Cortex Bomb - Fist or finger
(44:36, Mockbrawn Records, 2002)
"Fist or finger" ist, wie schon der Vorgänger "Need to scream have no mouth", ein virtuoser, bösartiger Vulkan, der mit großen Vergnügen seine humoristischen, wilden, unzähmbaren und immer wieder zum Lachen und Schmunzeln kitzelnden skizzenhaften Songs ausspeit. Dem Sextett sind alle Vorschriften egal, ein Glücksfall! Sie schmeißen Grenzen innerhalb der Rockmusik in einem Song um. Gerade noch spielen sie einen schrägen Jazzrock, da wird nach einem Vinylkratzer (jagt die Nadel mal quer über die Platte) ein Disko-Song auf Funk-Basis, der dann wiederum in einen Avantrock mündet, der zum Kinderlied mutiert, um ein quasi-Schlagerfragment hinterhältig zu zertrümmern. Es gibt keine Gesetze in den 21 Songs und 44 Minuten. Das liest sich schon auf dem Booklet, wo ein Song "Richard Gereïs herbal gerbil juice", ein weiterer "Death to the Demon Ahmet Zappa" und ein anderer "Discoteca a la Muerte de Moby" heißt. Geändert hat sich zum ersten Album einiges, so ist der jazzgetränkte Free Rock mehr in die elektronische Richtung gedriftet, DJ Mush Mush sei Dank. Doch weder wird jetzt stupides Techno-Gedröhn draus, wie genauso wenig platte Dämlichkeiten erklingen. Cortex Bomb sind viel zu gerissen, viel zu intellektuell, viel zu interessiert an genialer Musik, als dass sie sich vor irgend ein herkömmliches Ansinnen spannen ließen, um mal wieder was zum Laufen zu bringen. Dass die schwer verrückten 5 Jungs und 1 Lady ausgezeichnete Brennpunkte gerade dorthin setzen, wo andere angewidert die Nase rümpfen, spricht für ihr Gespür für Ausgefallenes, das sie auf "Fist or finger" in jeder Sekunde offenbaren; und auch für ihr grenzfreies Denken, dass um so freier und virtuoser musizieren und innerhalb eines wonnevoll abgedrehten Songs improvisieren / illustrieren kann. Doch Raum gibt es in den kurzen Songs nicht viel. Ständig, wirklich ständig ändern sich die Stücke, es gibt keine 2 Minuten durchgängige Motive, sondern abgehackte, verdrehte Melodien - ein Schlachtfeld der freien Rockmusik, die sich deutlich bei Frank Zappa und King Crimson inspirieren ließ, ohne von den Vorbildern auch nur etwas zu übernehmen als die Idee, nichts von Vorbildern zu übernehmen. Selbst das Geigenspiel der Sunshine Flower Bunny klingt ungewöhnlich, schwer verdaulich und teils übelst gegen die Melodie, aber immer mit feinem Strich gegen die Saiten. Die Musiker sind ausgefeilte Techniker; perfekt in der Handhabung ihrer Instrumente wissen sie, so manch abstrakten Ausdruck zu höherem Humor, wilderer Aussage oder lustvollerer Intonation zu verhelfen. Die Kompositionen, die hinter den zumindest 500 Ideen stecken (aus denen so manche herkömmliche Prog-Band gewiss 200 Alben machen würde), sind in aller grellen Farbe, trotz aller karikierenden Töne immer sehr komplex und keineswegs billig oder schal, sondern von wild-freier Natur und ausgeklügelter Raffinesse. Daneben wurden kleine Filmmusik-Schnipsel und Kino-Sprüche eingebaut, die einmal mehr zeigen, wie weit die Amis im TV-Sumpf versackt sind und dennoch daraus auf intelligente Weise Humor ziehen können. Leider ist das Album sehr schnell am Ende, die quietschvergnügten Kabinettstückchen illustrer Rockmusik verkürzen die Zeit allerliebst. Doch auf dem Silber, wie nett, gibt es einen PC- und MAC- kompatiblen Track, der die Band einmal mehr von der humorverseuchten Seite zeigt. Unter anderem kann man dort ein Bild von Ahmet Zappa anklicken und landet, oops, bei Vater Frank, der einen frechen Spruch von den Lippen lässt. Gute Unterhaltung. Muss ich jedem Rockfanatiker unbedingt ans Herz legen. Wenn Rockmusik noch einen Sinn macht, dann Cortex Bomb. Die neben French TV nächst beste Produktion des Jahres. Cortex Bomb - a sixpack for president!
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2002