CD Kritik Progressive Newsletter Nr.40 (06/2002)

Quidam - The time beneath the sky
(64:47, Rock-Serwis, 2002)

Wow, welch eine Rückkehr! Nach vierjähriger Pause, gibt es endlich wieder ein Lebenszeichen von Quidam und aber Hallo, was für eines. "The time beneath the sky" oder auf polnisch "Pod niebem czas" präsentiert die Band aus Krakau vital, fröhlich und erfrischend positiv in alter Stärke, auch wenn man sich hörbar weiterentwickelt hat, auf neue Sounds und Einflüsse baut. Doch dazu später mehr. Beim ersten Blick auf Album- und Liedtitel hatte ich überhaupt kein gutes Gefühl. Alles in englisch, au weia, begehen Quidam noch mal den gleichen bösen Fehler wie beim Vorgänger "Sny aniolów", von dem es, neben der im Gesang viel authentischer und besser klingenden polnische Version, auch eine komplett in englisch gesungene Ausgabe gibt, die aber längst nicht so überzeugend, sondern eher kalt wirkt? Ja, Hilfe auch die ganzen Texte im Booklet sind in englisch und hinten prangt auch noch der Name Musea drauf, die wieder den internationalen Vertrieb übernommen haben. Anpassung an den englischen Markt? Mitnichten und glücklicherweise Entwarnung. Quidam scheinen ganz offensichtlich aus dem Missgeschick der doppelte Ausgabe beim letzten Longplayer ihre Konsequenzen gezogen zu haben und die wirklich fantastische, sehr stimmgewaltige Sängerin Emila Derkowska bleibt bis auf einen Song bei ihrer Heimatsprache. Für alle anglophil Vorbelasteten natürlich ein Problem, aber die Musik klingt so viel ehrlicher und harmonischer, also ihr Zweifler, springt über Euren Schatten und lasst Euch überzeugen. "The time beneath the sky" überrascht den Zuhörer gleich mehrfach. War die Band auf dem letzten Werk leicht folkiger und etwas geradliniger geworden, so eröffnen sie stilistisch völlig ungewohnt das Album. "Letter from the desert I" beginnt sehr mystisch mit lautmalerischem Gesang und sanfter Flötenbegleitung, um sich nach dem schamanenhaften Einstieg des Schlagzeug mit deutlich orientalischem, komplexen Einschlag fulminant zu steigern. Flöte, Gitarre und spacige Keyboards stehen im Wettstreit, nie und nimmer hätte man so etwas von Quidam erwartet - ein beeindruckender Beginn. Als krasser Kontrast dazu "Still waiting", welches mit lässigen, modernen Loops und Beats, sowie jeder Menge Melancholie und Traurigkeit, sogar leichtem Jazz Touch die stilistische Bandbreite deutlich erweitert. Nichts lässt mehr den sinfonischen Neo Prog der Vergangenheit erahnen, im Gesamten wirkt der Titel aber nur nett, deutlich zu harmlos. Tja, aber es naht schon der nächste Hammer, nämlich nichts geringeres als eine Coverversion des Led Zeppelin Klassikers "No quarter". Wie bereits bei der beeindruckenden Quidam Interpretation von Deep Purples "Child in time" gelingt hier eine interessante Neuauflage mit deutlich progigem, sinfonischen Einschlag. Die Quintessenz des Liedes bleibt erhalten, Quidams Version klingt nicht ganz so düster, aber absolutes Highlight sind die nacheinanderfolgenden Soli an Gitarre (gefühlvoll bis euphorisch und mit Gänsehautfeeling ohne Ende), Flöte und Keyboards, die den Song auf fast 12 Minuten dehnen. Nach diesem Befreiungsschlag haben sich Quidam freigespielt und mit dem wunderschön leichten "New name" und dem folkigen "Kozolec" geht man wieder eher zurück zu den sinfonischen, neo-progressiven Wurzeln, die mit einer gefangennehmenden positiven Leichtigkeit gewürzt werden. Als Gast spielt übrigens der ehemalige Collage Sänger Robert Amirian beim zweiten Titel auf der Mandoline mit. Der fünfteilige Titelsong des Albums bringt es zum Abschluss zwar auf sagenhafte 31 Minuten, jedoch sind die Übergänge hauptsächlich so gewählt, dass fast jeder Song auch für sich alleine stehen kann. "Credo I" beginnt verhalten und leicht zurückhaltend, dass im fließenden Übergang danach folgende Instrumental "Credo II" baut anschließend auf Atmosphäre, Spannung und sich steigende Dramatik, hat irgendwie einen leichten Porcupine Tree Touch. "You are (In the labyrinth of thoughts)" versprüht mit unterschwelliger Traurigkeit wieder die allgepriesene Melancholie, ist aber von der Struktur eher im atmosphärisch-bodenständigem Rockbereich angesiedelt, bevor das 9½ Minuten lange Instrumental "Quimpromptu" wieder voll auf Spannungstiefe, floyidge Gitarre und langsamen, stimmungsvollen Anstieg der Dynamik setzt. Das abschließende, recht ruhige "(Everything has ist own) Time beneath the sky" beschließt das Album harmonisch. "The time beneath the sky" setzt konsequent mit modernen Mitteln und Sounds die von Quidam eingeschlagene Richtung fort. Die neuen Einflüsse erweisen sich als absolut logische Erweiterung und machen aus diesem Album ein kleines Meisterwerk, dass mühelos den Dauereinsatz im heimischen Player übersteht und immer mehr wächst. Dazu ein richtig fette Produktion, sorgsam eingebaute Soli an Gitarre, Flöte und Keyboards und eine beeindruckende Stimme, die darauf hoffen lassen, dass Quidam auch endlich in unseren Breiten der Durchbruch beschert wird, denn diese Band schon lange in Holland und Frankreich geschafft hat. Und da die Polen auch live mehr als nur die Reproduktion ihrer Studioaufnahmen abliefern, bleibt die weitere Hoffnung, dass man sich nach der erfolgreichen Doppeltour mit RPWL in Polen, auch in Deutschland blicken lässt.

Kristian Selm



© Progressive Newsletter 2002