CD Kritik Progressive Newsletter Nr.39 (03/2002)
Poor Genetic Material - Leap into fall
(47:45, quiXote Music, 2002)
Poor Genetic Material haben seit ihrer Gründung eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht. Basierten die ersten beiden Alben "Free To Random - Vol. 1" (1999) und "Free To Random - Vol. 2: Modern Myths" (2000) auf dem pgm-ureigenen Konzept der Musicscapes (eine Variante der Soundscapes, die neben der frei schwebenden, auch eine zusätzliche melodiebetonte Ebene enthält), entwickelten Philipp Jaehne (keyb.) und Stefan Glomb (git.) auf dem dritten Album "Summerland" (2001) mit Unterstützung von Ludwig Benedek (dr.) und v.a. des Sängers Phil Griffiths (beide hauptamtlich bei Alias Eye tätig) eher songorientierte Strukturen, denen immer noch das musikalische Konzept der Musicscapes innewohnte. "Summerland" hatte etwas von einer fast unerträglichen Leichtigkeit des Sounds, komplexere Strukturen wurde nicht mit der üblichen Schwere des Genres transportiert, sondern wirkten federleicht - das Paradoxon von Anspruch und Leichtigkeit wurde aufgelöst. Das musikalische und kreative Potential, dass in der Wandlungs- und Entwicklungsfähigkeit der Formation steckte (und mindestens ebenso stark in ihrem Willen zur Wandlung), wurde auf Summerland angedeutet, hört man sich jedoch die neueste Scheibe "Leap into fall" an, so wird schnell klar, dass sie sich noch einmal deutlich weiterentwickelt haben: Poor Genetic Material 2002 sind die besten, erwachsensten Poor Genetic Material die man jemals hören konnte, nicht zuletzt, weil man sich sound- und produktionstechnisch deutlich verbessert hat. Freilich ist die musikalische Evolution der Band signifikanter: Der Grundlage der Musicscapes wird nun nicht nur eine klassische Songstruktur beigefügt, man betont nun auch die rhythmische Komponente - Bass und Schlagzeug rücken weiter in den Vordergrund, nicht zuletzt weil mit Dennis Sturm ein versierter Bassist gewonnen werden konnte, der mit seinem dynamischen, jazzrockigem Spiel der Musik eine weitere interessante Nuance beifügen konnte. Die Gitarre erklingt nun manchmal auch in satten Riffs, andererseits ist sie immer noch Teil des "frei schwebenden Sounds" der Band und steuert außerdem noch ein paar wundervolle Musicscapes-Sequenzen bei (etwa im Intro der Suite "Rush of ages"). Phil Griffiths stets exzellente Vocals klingen um einiges gewagter, experimenteller, als das, was man bei Alias Eye, aber auch auf "Summerland" von ihm hören konnte. Die intelligenten Keyboards Jaehnes, der neben technisch einwandfreiem Spiel, vor allem durch angenehmen Klang und klassischen, wohlklingenden Sounds zu überzeugen weiß, machen den Gesamteindruck des Albums erst in sich stimmig. Poor Genetic Material startete dereinst als experimentelle Formation, mit "Leap into fall" sind sie im progressive Rock angekommen. "Leap into fall" ist, wie alle pgm-Alben, konzeptuell geschlossen, es macht wenig Sinn den einen oder anderen Song besonders hervorzuheben. Alle Songs bewegen sich kompositorisch auf einem konstant hohen Niveau, wenngleich man "Rush of ages", den Opener, noch am ehesten hervorheben kann. Vielleicht ist dies der beste Song, den pgm jemals zustande gebracht hat. Es bleibt also nur das Fazit, dass das Album zu den besten Neuerscheinungen des noch jungen Jahres gehört.
Sal Pichireddu
© Progressive Newsletter 2002