CD Kritik Progressive Newsletter Nr.33 (12/2000)

Parallel Or 90 Degrees - Unbranded
(73:18, Cyclops, 2000)
Parallel Or 90 Degrees - No more travelling chess
(69:53, Cyclops, 1992)

Mit jedem Studioalbum gelingt es Parallel Or 90 Degrees langsam aber sicher immer mehr an der eigenen Identität weiterzufeilen. So ist der dritte Longplayer "Unbranded" das bisher ausgereifteste, zugleich auch eigenständigste Album der Briten. Ihr durch moderne Beats angereicherter Progressive Rock bedient sich aus der Aggressivität von Van der Graaf Generator, nimmt dazu die virtuosen Keyboardparts von ELP bzw. The Nice und verschmilzt dies völlig neu zu einem Gebräu aus Bombast, Komplexität und einer Achterbahn von Gefühlen. Was vielleicht nicht bei jedem für Zustimmung sorgt, ist der etwas verschlafen wirkende Gesangsstil von Bandleader Andy Tillison Diskdrive, dafür haut er dermaßen wuchtig und drängend in die Hammond und andere Tasteninstrumente, dass diese kleine Schwäche nicht weiter ins Gewicht fällt. Damit der Keyboardüberhang nicht zu erschlagend wirkt, folgen auch noch ein paar satte Gitarrensoli, bei "Shoulder to shoulder" gibt sich auch noch Martin Orford (IQ, Jadis) an der Flöte ein Stelldichein. Da sich die sechs Songs ausschließlich im Bereich über 8 Minuten bewegen - mit dem über 25-minütigen Bonustrack "An autopsy in artificial light" wird zudem das Konzept des Titels "Afterlifecycle" vom ersten Album fortgesetzt - ist genügend Raum für ausgiebige Ausschmückungen, aber auch sphärische Parts. Der erste Eindruck von Parallel Or 90 Degrees ist vielleicht manchem etwas zu unspektakulär, da sofort einprägsame Parts fehlen, doch die Lieder beeindrucken durch einen stetigen Fluss und Ideenreichtum, der sich erst nach mehrmaligen Hören erschließt. Eine Klassealbum, welches auf jeden Fall eine echte Chance verdient hat. Zeitgleich haben Cyclops Aufnahmen aus dem Jahr 1992 ausgegraben, die bisher nur auf Kassette erhältlich waren. "No more travelling chess" enthält neben zwei bisher unveröffentlichten Tracks, die nicht auf dem ersten offiziellen Album landeten, ausschließlich Coverversionen von Peter Hammill, die zum Teil noch aus seiner Zeit bei Van der Graaf Generator stammen. Dabei gab sogar Peter Hammill offiziell den Aufnahmen seinen Segen, was natürlich die Qualität der Neuinterpretationen erheblich aufwertet. Die Aufnahmen wurden im Vergleich zu den Originaltapes nochmals im Studio remastered, und somit zwar die Soundqualität verbessert, sie wirken aber dennoch insgesamt immer noch etwas flach und verschwommen. Zu jener Zeit waren Parallel Or 90 Degrees zudem lediglich ein Duo bestehend aus Andy Tillison Diskdrive und Guy Manning, was ebenfalls dazu führt, dass den Aufnahmen die Power einer echten Band fehlt. Bestes Beispiel dafür, das leicht nervige elektronische Getrommel. Auch wenn man merkt, dass es hier noch etwas an der Qualität der späteren Alben fehlt, so sind die hauptsächlich nachgespielten Peter Hammill Kompositionen keineswegs zu verachten und lassen bereits erkennen, wohin in die eigene musikalische Reise bei Parallel Or 90 es gehen wird. Ein gutes erstes Statement.

Kristian Selm



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