CD Kritik Progressive Newsletter Nr.33 (12/2000)

Kevin Gilbert - The shaming of the true
(67:27, Pop plus one, 2000)
Kevin Gilbert & Thud - Live At The Troubadour (June, 1st 1995)
(52:26, Pop plus one, 2000)

Wenig wurde von Kevin Gilbert zu Lebzeiten veröffentlicht. Der ihm prophezeite (und verdiente) Durchbruch blieb ihm durch eine tragische, mittlerweile notorisch bekannte ungewollte Selbsttötung verwehrt (er tötete sich bei einer autoerotischen Erwürgung... kann man das so schreiben?). Gilberts gewichtiger Einfluss auf Mainstream- Super-Act Sheryl Crow sollte mittlerweile hinlänglich bekannt sein, denn derweil das Erstlingswerk der Amerikanerin "Tuesday Night Music Club" unter erheblicher Mitwirkung Gilberts ein Megaseller wurde, floppten die darauffolgenden Alben alle immer ein wenig mehr. Ebenso wichtig und in der Szene hinlänglich bekannt ist der Einfluss Gilberts auf Spock's Beard, v.a. während der Sessions zu ihrem Meilenstein "Beware of darkness". Doch anders als bei den Bärten stehen bei Gilbert die Texte zentraler im Vordergrund. Er ist kein selbstverliebter Instrumentalist, sondern ein Erzähler. Auch auf "The shaming of the true" erzählt er eine Geschichte, die Geschichte des Johnny Virgil, der auszog, um ein Rockstar zu werden: Wie er hinaufsteigt, den Zenit erreicht und hinabstürzt, in gewisser Weise die Geschichte Gilberts selber, der bittere Erfahrungen mit dem Business hier zweifelsohne verarbeitet. Konzeptuell steht das Album eher "Quadrophenia" von The Who näher, als etwa "The lamb lies down on Broadway", musikalisch bewegt sich Gilbert ohnehin in wesentlich ruhigeren Gewässern, als etwa seine prominenten bärtigen Freunde (und das, obwohl Nick D'Virgilio himself hinter den Trommeln sitzt): Progressive i-Tüpfelchen könnte man sagen, mal stark, mal weniger stark ausgeprägt. Am deutlichsten offenbart sich seine Prog-Seele bei dem Suite "Dance of the A&R men", einem irrwitzigen Tanz um Gespräche mit Label-Leuten um zukünftige Verträge, Strategien und Songs. Gilbert stellt das Business hier bloß, macht es lächerlich, schon alleine für diese Gesangsparts in bester Gentle Giant Manier lohnt sich die Scheibe. Doch ich möchte dem Album nicht unrecht tun - denn Gilberts Gesamtkonzept geht hier voll auf: Das Album ist schlüssig von der ersten bis zur letzten Sekunde, mehr noch, die Songs offenbaren starke Kompositionen und je öfter man das Album hört, desto mehr wird man sich der unterschwelligen Referenzen an die Größen der Rockmusik bewusst. Unbegreiflich, warum solch ein Meisterwerk bei einem Winziglabel erscheinen muss. Charismatischer Performer, zynischer Beobachter der Gesellschaft in den Neunzigern, Gilberts Talente, neben den unbestrittenen musikalischen, brillieren ebenso auf dem Live-Album "Live at The Troubadour". Wiederrum mit Nick D'Virgilio an den Drums spielt Gilbert mit seiner letzten Band Thud einen Querschnitt aus seinem Oeuvre. Ergänzt werden seine Songs durch eine halbakustische Version von Led Zeppelins "Kashmir". Prog? Ja, manchmal - aber: who cares? Wie singt Gilbert in "Waiting"? "I am waiting for the Mafia to make this song a hit..." nun, Hilfe von den netten Italienern im Nadelstreifenanzug ist eigentlich nicht zu erwarten - aber vielleicht von sachkundigen Fans. Freilich, diese beiden Scheiben sind nicht leicht zu bekommen, aber das WWW öffnet auch hier alle Türen: Unter http://www.kevingilbert.com findet man alles Notwendige - und dieser Websurf lohnt sich, denn diese Alben gehören in jede gut sortierte Discografie der 90er. Mein Ehrenwort. Als Italiener.

Sal Pichireddu



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