CD Kritik Progressive Newsletter Nr.28 (12/1999)

Neal Morse - Neal Morse
(55:47, InsideOut, 1999)

Was passiert, wenn man eine Spock's Beard Scheibe ohne 3/5 der Band, also ohne Dave Meros (Bass), Alan Morse (Gitarre) und Ryo Okumoto (Keyboards) macht? Nun, Neal Morse geht ins Studio und spielt fast alles alleine ein (mit der Hilfe von Nick D'Virgilio an den Drums und einigen anderen bei einzelnen Stücken). Heraus käme ein Produkt, dass immer noch genügend Ingredienzien Spock's Beards hätte, um den Hörer von der Echtheit der Scheibe zu überzeugen. So hätte es sein können, doch Neal Morse hat sich bei seinem Solo- Album schon ein wenig mehr Mühe gegeben, nicht wie seine eigene Band zu klingen. Die Songs, die er geschrieben hat, haben einen deutlich stärkeren Songschreiber- Charakter - die Texte sind hier wieder im Vordergrund und das in einer Dichte, wie man sie von Morse seit dem Debüt "The light" nicht mehr gehört hat. Die Musik changiert zwischen Mainstream und dem modernen amerikanischen Prog, den Spock's Beard maßgeblich mitgeprägt hat. Deutlicher als bei allen Spock's Beard Alben kommt Morse' Affinität für die Beatles hervor (etwa auf "That which doesn't kill me" und "Emma") - die Songs scheinen mir aber auf dem Album arg zusammengewürfelt zu sein, so als ob Neal Morse unbedingt beweisen wollte, wie abwechslungsreich seine Musik sein kann. Doch seid beruhigt: der obligatorische Prog-Longtrack fehlt natürlich nicht: Eine aus vier Stücken ("Bombs that can explode", "Mr. Upside Down", "The man who would be king", "It's alright") zusammengesetzte Suite namens "A whole nother trip", die deutlich Spock's Beard Charakter hat. Morse imitiert hier sehr überzeugend Dave Meros' kraftvollen Bass und Bruder Alans' kantige Gitarre. Überzeugend wie keine andere Komposition, die dieses Jahr von Morse erschienen ist, ist sie wahrlich der Höhepunkt dieses Albums und der versöhnliche Abschluss eines zwar quantitativ umfangreichen, qualitativ aber nicht immer bis ins letzte Detail überzeugende Spock's Beard / Neal Morse- Jahr. Ein Album, dass auch nicht durch seine kommerziellsten Songs degradiert wird, sondern genau das repräsentiert, was es wohl sein sollte - die Solo- Arbeit eines Künstlers, der die Grenzen seines angestammten Genres verlassen wollte, um sich auch auf anderen Gebieten zu bewähren.

Sal Pichireddu



© Progressive Newsletter 1999