CD Kritik Progressive Newsletter Nr.22 (09/1998)

The fox lies down (Genesis Tribute Album)
(64:01, Cleopatra, 1998)

Zu Sinn und Unsinn derartiger Unterfangen später mehr. Hier zunächst ein Überblick über die einzelnen Versuche: 1. Den Anfang machen Brand X, deren musikalische Vergangenheit bekanntermaßen ja in direktem Zusammenhang mit Genesis steht. Hier ist nur noch Gitarrist John Goodsall von der Ur-Besetzung mit von der Partie, am Schlagzeug sitzt übrigens Nick D'Virgilio. Sie versuchen sich an "Can-utility and the coastliners", im zweiten Teil bringen sie ihren typischen Jazz-Rock ein, doch leider habe ich bereits vorher bei Einsetzen des grauseligen Gesanges mehr oder weniger abgeschaltet. Auf peinliche Weise völlig missraten! 2. John Ford, bekannt als Mitbegründer der Folk-Rocker Strawbs, spielt "Carpet crawlers" in "Part of the union"-Manier (zur Erinnerung: Mitstampf-Hit der Strawbs aus den 70ern). Vermutlich ist er ausgewählt worden, weil der Produzent dachte: Ford, der tut was. 3. Schon nach wenigen Sekunden ist mir klar, wer hier die Keyboards bedient. Das kann nur Patrick Moraz sein, der von Schlagzeuger Ronnie Ciago unterstützt wird. Ihnen gelingt eine brauchbare Version von "Los Endos", denn dankenswerterweise muß auf diesem Titel nicht gesungen werden. 4. Sorry, bin bei diesem Song eingenickt. Neuer Versuch: wird auch nicht besser. Ein John Wetton, der nicht sonderlich gut bei Stimme ist, präsentiert einen erschreckend langweiligen Versuch, "Your own special way" zu interpretieren. Allerdings ist dies zugegebenermaßen auch nicht gerade ein aufregender Genesis-Song. 5. Jetzt wird es völlig strange. Eine Mixtur aus Ambient-sound und ihrem typischen space whisper-Kram - Gilli Smyth und ihre Band Mother Gong mit ihrer äußerst eigenwilligen Interpretation eines uralten Genesis-Songs ("In the beginning"). Mal etwas anderes - aber ob dies sein musste 6. Bleiben wir in der großen Gong-Familie. Daevid Allen, der ältere Herr, singt in seiner typischen Art "Visions of angels". Zwar nicht unsympathisch, paßt aber irgendwie überhaupt nicht zusammen. 7. Spirits Burning heißt die Band, die eine sensationelle Version von "Return of the giant hogweed" vorlegt. Singt hier Berti Vogts? Das ist so unglaublich schlecht, dass man sich wirklich die Frage stellen muß, ob derjenige, der diesen unsäglichen Mist auf CD preßt, noch alle Sinne beisammen hat. 8. Die schwedischen Darxtar beginnen "Dancing with the moonlit knight" mit dem Outro - nette Idee, es bleibt auch eine Weile interessant, doch irgendwann setzt auch hier der Gesang ein - das war's dann mal wieder. 9. Natürlich! Die Version der Flower Kings ist das absolute Highlight dieser CD - und auch wieder nicht... - dazu später mehr. Die Aufgabe hieß: wie interpretieren wir "Cinema show". Schon nach wenigen Tönen wird klar, welche Qualität hier im Gegensatz zu den qualvollen vorangegangenen Versuchen vorliegt: die Gitarre ist so gut, dass man sich fragt, wie wohl Genesis heutzutage mit dem hervorragenden Ray Wilson und Roine an den Gitarren (und Rutherford dort, wo er hingehört, nämlich am Bass) klingen würden. Im zweiten Teil legen die Schweden teuflisch los - doch was passiert dann? Plötzlich wird ihnen nach knapp 7 Minuten sang- und klanglos der Saft abgedreht. Eine derart dilettantische Ausblendung habe ich noch nie gehört, doch Dave Thomspon oder wer auch immer dafür verantwortlich zeichnete, macht natürlich keine halben Sachen. In den darauffolgenden Song ("Broadway Melody" von Controlled Bleeding gespielt) wird mittenrein geblendet. Katastrophal. Stand der verantwortliche Toningenieur unter Drogen? So etwas muß man doch hören, wie kann man solch einen Schund allen Ernstes unkorrigiert im Raum stehen lassen? Doch nochmals zurück zu den FloKis. Nichte Hasse Fröberg, sondern Roine himself singt hier, doch die Stärken liegen ganz klar in der instrumentalen Überarbeitung. Spitzenklasse! 10. Eingangs klingt der Versuch von C.B. mit interessanter Keyboardversion von "Fly on a windshield" noch recht brauchbar, doch als der mit technischen Hilfsmitteln verfremdete Gesang einsetzt, gehen auch hier sämtliche Lichter aus. 11. Zum Abschluss noch eine "Waiting room" Version von Architectural Metaphor, die sich hier austoben können. Doch dies will vermutlich eh' keiner mehr hören. Mein Fazit : Ich vermisse auf diesem Album noch unser singendes Stocherensemble, pardon - unsere singende Fußballnationalmannschaft (z.B. könnten Ziege, Heinrich & Co. "Watcher of the skies" singen, was textlich ja auch naheliegt, wenn man ihren Flanken so hinterherschaute). Niveaumäßig würde vielleicht auch noch Dolly Busters Version von "A trick of the tail" passen. Wem diese CD zufällig auf irgendeinem Wühltisch für 10 DM oder weniger angeboten wird, hier noch eine Entscheidungshilfe: die Original-FloKi-Version von "Cinema show" wird in seiner vollen Länge (11 Minuten!!) auf dem Japan-Sampler "Scanning the greenhouse" demnächst erhältlich sein. Dieses erbärmliche Machwerk muss sich wirklich niemand kaufen! Nach meinen z.T. noch recht wohlwollenden Ausführungen jetzt noch ein Kurzkommentar meiner Freundin, die mit Prog eher nichts am Hut hat, erstaunlicherweise aber totaler Genesis/Collins/Gabriel-Fan ist und als solche kurz zu Wort kommen will. "Mir war noch nie klar, warum so viele Bands versuchen, Genesis zu kopieren, wo doch für jeden offensichtlich ist, dass der Versuch gnadenlos scheitern muß, da der jeweilige Sänger, der sich berufen fühlt, Gabriel- oder Collinsmaterial umzusetzen, im Zweifel kaum einen Ton vernünftig halten kann. Warum wird solch ein Nonsens veröffentlicht? Beste Beispiele hierfür sind Spirits Burning und Brand X. John Wetton klingt wie ein aufgeregter Gastsänger bei einer Barbra Streisand-Geburtstagsparty, John Ford wie ein Polit-Rocker beim Gastauftritt auf einer Protestveranstaltung, der Sänger von Controlled Bleeding klingt wie ein Alkoholsüchtiger, Spirits Burning spottet jeder Beschreibung. Nur die Flower Kings (die ich natürlich mittlerweile bestens kenne) und Patrick Moraz kann man sich anhören. Solche Tribute-Alben sollte man gar nicht erst in Umlauf bringen!"

Jürgen Meurer



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