CD Kritik Progressive Newsletter Nr.11 (11/1996)

Cliffhanger - Not to be or not to be
(73:08, Musea, 1996)

Das Debüt "Cold steel" von Cliffhanger war eine der letzten Veröffentlichungen des holländischen SI Labels. Wegen dieser Band sind jene bestimmt nicht pleite gegangen, hob sich diese Gruppe doch wohltuend von den anderen ziemlich gleichförmig klingenden Produktionen dieser Firma ab. So fällt beim Nachfolger gleich wieder die Moll-Lastigkeit, die daraus resultierende dunkle Stimmung der CD und die fehlenden, schönen Melodien auf. Doch das Quartett aus den Niederlanden hat sich noch mehr zum Positiven weiterentwickelt. Zwar klingt der Gesang von Gitarrist Rinie Huigen immer noch zu gepresst und gleichförmig, jedoch hat eine ziemliche Ähnlichkeit zu ex-It Bites Frontmann Francis Dunnery, was der Musik nicht einen unerheblichen Charme verleiht. Er schweigt aber dennoch ziemlich oft und gibt so den instrumentalen Fähigkeiten seiner Mitstreiter Raum. Auch bei den Kompositionen hat man einiges an Mühe reingepackt. Weitgehendst komplex und abwechslungsreich, ohne ins Bombastische abzugleiten, wird hier in teilweise sehr langen musikalischen Strukturen viel ausprobiert, bis hin zu abgedrehten Klangfarben. Ebenso kommen hier auch ruhige und atmosphärische Passagen zur Geltung, wie auch ausgedehnte Soli an Gitarre und den Tasten. Keyboardeinlagen aus den unendlichen Weiten des Raumes, sehr viel gesampelte Mellotronklänge und der wummernde Bass erweitern das Klangbild zusätzlich. Deswegen muss man sich mit Cliffhanger Zeit lassen und das Album durch mehrfaches Hören erschließen. Der mehrmalige Genuss offenbart dann aber auch die Schwächen dieser Band: wie gesagt viel Mühe und Abwechslung in den einzelnen Liedern, aber es fehlt an absolut mitreißenden Passagen. Man vermisst die musikalischen Höhepunkte, die Spannungsbögen verlaufen zu gleichförmig. Positive Ausnahme: das 25 Minuten Mammutwerk "Ragnarök", welches trotz gewisser Längen, neben verschiedenen Klimaxen, auch in den Instrumentalteilen variantenreich Stimmungen erzeugt. Die zehnminütige Stille beim letzten Song "Moon" halte ich dagegen für total überflüssig. Hier sind absolut keine Dilettanten am Werk, aber mein Geschmack wird nicht ganz getroffen und ich wage zu fragen, wo die genialen Ideen für den Aufstieg in den Prog Olymp bleiben (die sich sicherlich nicht so einfach aus den Ärmel schütteln lassen)? Trotz alledem eine gelungene Weiterentwicklung, die Cliffhanger zur derzeit interessantesten Band aus Holland macht.

Kristian Selm



© Progressive Newsletter 1996