Der Großmagier, das Donnergrollen und der Schalk im Nacken
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Es war schwerlich – hoffentlich nicht! – Mikaels letzter Wille. Aber doch eine starke Willensbekundung (zurück zum Growlen auf Opeth-Alben, live hatte das ja aus Gründen nie aufgehört): „The Last Will And Testament“ von Ende vergangenen Jahres präsidierte vornehm nicht nur in unseren ´24er Jahres-Charts. Und sorgte bei der gleichnamigen Tour füglich auch für ein nahezu (gefühlt völlig) ausverkauftes Palladium – und das an einem Montag…
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Ein Thema, das Janne “JB” Christoffersson, der alle Ansagen bestreitende Sänger und Gitarrist von der Vorgruppe Grand Magus auch dankbar aufgriff – offensichtlich doch ein wenig eingenommen von den prall gefüllten Rängen und dem durchgehend freundlichen bis begeisterten Empfang, mit dem seine bereits 1996 in Stockholm gegründete Combo in Köln begrüßt wurde. Mit ihm freute sich nicht weniger Bassist Mats Fox Hedén Skinner und der zentral am vorderen Bühnenrand platzierte Ludwig Witt.
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Apropos Ludwig – den teilt sich der Großmagier ja bekanntlich mit den (pausierenden?) Spiritual Beggars. Und wenn Grand Magus jetzt noch einen Keyboarder hätten (am besten einen vom Weltrang eines Per Wiberg (Ex-Opeth)) und dann noch etwas weniger schlichte, etwas unvergesslichere Meodien am Start hätten… Dann, ja dann könnten sie in etwa so klingen wie die Formation um Michael Amott, deren erster Sänger “JB” auch tatsächlich gewesen war. Und für die Ludwig theoretisch immer noch trommelt, obwohl das letzte Album der Beggars 2016 erschienen ist (Trivia: Michael Amott hatte Grand Magus zu ihrem ersten Plattenvertrag verholfen).
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So aber bleibt ein muskulöser Trio-Heavy-Metal mit Sprenkeln von Stoner Rock und Doom Metal. Auf dieser Tour eingeleitet von ihrer Fassung von Elvis‘ ‘Jailhouse Rock’ – mehr stampfig als evil.
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Also rasch zwei Gänge rauf geschaltet für ‘I, The Jury’ (was – vermutlich völlig unbeabsichtigt, aber dennoch schön zum “Paragrafen”-Thema des heutigen Abends passte).
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Es ging weiter aufwärts, nämlich ‘Skybound’, zu dem Mats effektvollen Hintergrundgesang beisteuerte.
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Doch was ist nochmal die Quintessenz von Heavy Metal (außer Drachen, Blut und Jungfrauen natürlich?) Genau, (in the end it is alway) ‘Steel Versus Steel’. Das wurde denn nun auch heftig schrubbend gegeneinander gehauen. Hier wurde ob des echt tumben Strickmusters die Grenze zur Genre-Parodie (vgl. „Spinal Tap“) allerdings auch touchiert. Ouch.
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Zur schönen, geheimnisvollen und vor allem klugen Gattung Corvus hatte diese Band immer schon ein besonderes Verhältnis: ‘Ravens Guide Our Way’ und das flotte ‘Sunraven’ (auch Titelsong des aktuellen Albums) legen davon beredtes Zeugnis ab.
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Die Metzel-Hymne ‘Untamed’ stammt vom 2019er Opus ‘Wolfgod’. Und welches Klischee fehlt uns da also noch? Genau – ‘Hammer Of The North’ (nach ‘Like The Oar Strikes The Water’, mit stärkerem Gesang).
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Hammer? Nö, aber ein motiviert und kompetent absolvierter Anheizer-Job.
Die perfektionistischen Paragraphenreiter des Todes
Die schwedische Band, die sich nach ihrer Gründung zunächst geweigert hatte, auch nur so etwas wie Demos einzuspielen, agiert heute – inklusive ihrer Roadcrew! – mit nachgerade zappaesker Präzision und Kontroll-Wollust. Ohne dass dies das Begeisterungspotenzial für die Fans auch nur eine Sekunde beeinträchtigen würde, im Gegentum. Hinzu kommt, dass Zeremonienmeister Mikael den bösen Humor, für den er gerichtsnotorisch ist, eher noch weiterentwickelt hat. Statt in Ansagen in wundervollem Da-Da-Deutsch wie früher äußert sich das heute zum Beispiel darin, dreimal hintereinander von den Fans spontan begeisternd angesaugte Tunes anzuspielen und mit einem „Naaa, we’re not playing this tonite“ eiskalt wieder abzuwürgen.
… äußert sich das heute zum Beispiel darin, volle dreimal hintereinander von den Fans auch jeweils spontan begeisternd angesaugte Tunes anzuspielen und mit einem “Naaa, we’re not playing this tonite” eiskalt wieder abzuwürgen.
Doch der Reihe nach. Eine ordentliche Testamentsverlesung beginnt mit – richtig – §1. Das quasi-liturgische Intro lässt noch Aufmerksamkeitsraum für eine der perfektesten Projektionsplattformen, die der Autor bislang in Aktion erlebt hat. Fast der gesamte (geräumige!) Bühnenhintergrund ist mit gewaltigen segmentierten Display Panels gestaltet. Segmentiert, damit noch Spots dazwischen passen (und bei den alle Songs sekundengenau untermalenden Projektionen wird es auch nicht ohne Click Track gegangen sein).
Von den umwerfenden überlebensgroßen Visuals mal abgesehen aber haut der perfekte Mix aus Mellotron, E-Piano, Uhrenticken, clean vocals und abgrundtiefem Donnergrollen die Anwesenden einfach WEG. Und wir sollten uns im Folgenden davon auch nicht mehr erholen.
Zweiter Tagungspunkt der Verlesung: ‚The Master’s Apprentice‘. 2002, die Growl-Welt ist noch in Ordnung. Heavy as fuck.
‚The Leper Affinity‘ ging sogar noch weiter zurück. Ein Jahr, was den Kalender, und Tonnen, was die Brutalität angeht.
Was war noch?
Das:
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Wiederaufnahme des strengen Verlesungsprotokolls: §7. Komplexer, aber melodischer und majestätischer Progressive Rock inklusive der von uns allen so geliebten Flötensounds, Ian Anderson Stimme und buchstäblicher Verlesung (als Samples). Die Rhodes-Parts (Joakim Svalberg, das Bass-Spiel von Martin Mendez und vor allem die Grooves des jungen Finnen Waltteri Väyrynen sind nur als delikat zu beschreiben.
‚Häxprocess‘ brachte einen willkommenen Flashback in die Jazzrock-Hippie-Ära von „Heritage“. Verblüffend, wie geschmeidig diese Band diese eigentlich nun wirklich völlig andere Musik ins bisherige und folgende Geschehen einpasste. But, it’s “only” Opeth after all.
Nachdem oben angedeuteten Genecke und Teasern mit u.a. ‚To Rid The Disease‘ hauten Mikael und Co. einfach mal so ein ewiges Lieblingslied des Autors ´raus: ‚In My Time Of Need‘. Ohne Worte.
Was böte zu diesen Wonnen wohl den größtmöglichen Kontrast? ‚The Night And The Sea‘ von 1996 vermutlich. Wobei es in diesem erfrischenden Konzertkonzept (Mikaels vorletzter Wille) überhaupt nicht als Bruch erlebt wurde.
Jetzt aber brav zurück zu den Tagesordnungspunkten, beziehungsweise dem progressiven Wirbelwind von ‚§3‘. U.a. eine weitere Gelegenheit zum Abräumen für Lead Guitarrist Fredrik Åkesson, der ständig besser zu werden scheint.
Auf der Suche nach dem idealen Mix aus den ultramelodischen und ultrabrutalen Polen von Opeth konnte man immer schon hier landen: ‚Ghost Of Perdition‘ (2014). Und da war es auch schon, in all seiner bestürzenden Schönheit.
Den „Testament“-Rahmen beschloss nun noch die Auflösung dieser Saga, ‚A Story Never Told‘.
Als Zugaben machten die allzeit bezaubernde ‚Sorceress‘ (2016) und das unsterbliche, wonnevoll lange ‚Deliverance‘ (2002) den Sack zu.
PS: Konzert verpasst? Kein Grund, jetzt das eigene Testament zu verfassen.
Hier geht es weiter mit der “The Last Will And Testament Tour” =>
06.-09.08. Jaroměř, Czech Republic, Brutal Assault Festival
15.08. Eindhoven, Netherlands, Dynamo Metal Fest
29.09. Hamburg, Laeiszhalle
30.09. Esch-sur-Alzette, Luxembourg, Rockhal
01.10. Mannheim, Congress Center Rosengarten
02.10. Zürich, Switzerland, Komplex
14.10. Dresden, Alter Schlachthof
PPS: Ein Wort noch zum Sound: Der Chronist hat schon viele Konzerte im Palladium miterlebt – aber bis dato noch keines mit gutem Sound (und daher noch mehr Touren ohne Groll von der persönlichen Agenda gestrichen, wenn der NRW-Auftritt dort gebucht wurde). An diesem Abend aber war er erstaunlicherweise einfach makellos – von relativ weit vorne links wie auch von ganz, ganz hinten. Wo man auch interessante Perspektiven auf das Geschehen weiter vorne gewinnen konnte…
Live-Fotos: Harald Oppitz
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Rezensionen:
“The Last Will And Testament” (2024) (Malt & Music)
“Blackwater Park” (20th Anniversary Edition) (2001/2021)
“Garden Of The Titans” (2019)
“In Cauda Veneum” (2018)
“Sorceress” (2016)
“Deliverance” & “Damnation” (Bookset) (2015)
“Heritage” (2011)
“Watershed” (2008)
“Ghost Reveries” (2005)
“Damnation” (2003)
Liveberichte:
06.08.24, Dortmund, FZW13.11.2019, Köln, E-Werk
10.09.05, Köln, Underground
Interviews:
Interview zu “Sorceress” (2016)
Interview zu “Pale Communion” (2014)
Interview zu “Watershed” (2008)
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