Interview
(Progressive Newsletter Nr.62 05/08)
Ausschnitte eines Interviews mit Arne Schäfer (Gitarre, Gesang) und Ekkehard Nahm (Keyboards)
Arne: Die wesentlichen Gründe für die lange Dauer zwischen den beiden letzten Veröffentlichungen waren privater, gesundheitlicher und beruflicher Natur. Das Problem war meistens, dass ein Bandmitglied gerade krank oder beruflich überlastet war, dessen Beitrag aber essenziell für das Vorankommen des Projekts war. Das ging dann streckenweise monatelang in dieser Art reihum, so dass wir schon dachten es laste ein Fluch auf uns…
Wie wichtig ist euch die Balance zwischen Musik und Text?
Ekkehard: Sehr wichtig. Reine Instrumentalmusik kann funktionieren, jedoch heben eingestreute Gesangspassagen die übrigen Teile eines Liedes häufig in ein anderes, strahlenderes Licht.
Arne: Ich finde es vor allem wichtig, dass die inhaltliche Komponente des Textes gut zur musikalischen Stimmung passt. Ein Text über schnelle Autos oder Fußball wird z.B. kaum zu einem 20-minütigen Prog-Longtrack passen. Wo es super dramatisch klingt als ob gleich Dracula um die Ecke kommt, muss einfach auch der Text ein dramatisches, tiefgründiges Thema behandeln. Ansonsten würde es lächerlich wirken. Außerdem ist es enorm wichtig dass die Abfolge der Text Silben sehr gut auf die entsprechende musikalische Phrase passt, sonst klingt es holprig.
Inwieweit haben die Besetzungswechsel in der Rhythmusfraktion für Änderungen im Zusammenspiel bzw. bei der Ausgestaltung der Songs gesorgt?
Arne: Unsere beiden Thomasse – Keller, bass und Reiner, drums – spielen mittlerweile sehr tight zusammen, so dass die Songs nun mehr groovige Elemente enthalten als noch zu Zeiten der „Disturbance“ CD. Das hat sich natürlich schon mit Jörg und Uwe entwickelt. Die Rhythmusgruppe agiert jetzt unabhängiger und setzt viele eigene Akzente bei der Ausgestaltung der musikalischen Grundideen. Jörg Fischer und Thomas Keller haben auch einige Ideen oder Themen mit in die Waagschale geworfen, von denen ein paar auf der „Primordial Ocean“ CD gelandet sind. Allerdings nie in ihrer Urform, sondern nur in Fragmenten und ziemlich durch den Wolf gedreht, was bei uns aber eine lange Tradition hat. Alle Ideen werden solange massiv bearbeitet bis sie sich optimal ergänzen und dabei dem Gesamtkonzept des Songs unterordnen.

Auf euren Alben gibt es fast ausschließlich Longtracks in teils epischen Ausmaß. Entwickeln sich die Songlängen ganz natürliche Weise bzw. funktionieren bei eurem Ansatz einfach keine kurzen Songs?
Ekkehard: Das ist eine heikle Frage, die wir uns in der Tat auch schon seit geraumer Zeit stellen. Scheinbar „funktionieren bei uns keine kurzen Songs mehr“, so wie Du das ausgedrückt hast. Wir haben ein Idealbild im Kopf, welches wir in jedem Lied zu erreichen versuchen. Dieser Prozess läuft jedoch unbewusst oder - wie Du es ausgedrückt hast – „natürlich“ ab. Es gelingt kaum, zumindest uns nicht, einen bestimmten Song zu schreiben. Der Nukleus sind stets ein, zwei oder drei gute Ideen, kurze Fragmente oder auch mal eine Instrumentalpassage. Diese weiten sich förmlich „von selbst“ aus zu einem immer längeren Gesamtkonstrukt. Dabei greifen wir gerne immer wieder die ursprünglichen Ideen auf und geben sie in einem anderen Gewand wieder. Diese Vorgehensweise ähnelt in gewisser Art und Weise der motivischen Arbeit in der klassischen Musik. Auf diese Weise erreichen wir die notwendige Konsistenz innerhalb des gesamten Liedes.
Wie entstehen Eure Songs? Sind es kleinere Fragmente, die zusammengefügt werden oder steht zu Beginn bereits die komplette Songstruktur fest?
Arne: Wir selektieren meist aus vielen gesammelten Ideen zwei bis drei unserer Ansicht nach sehr gute Grundthemen und beginnen diese zu ergänzen bzw. zu erweitern, wie bei einer Kristallisation. Dabei versuchen wir die Grundeinheiten durch diese Ergänzungen musikalisch zu verkoppeln, so dass sich die Verbindung der Themen am Ende logisch anhört, als müsse sie genau so sein wie sie ist. Das ist vielleicht der schwierigste Teil des gesamten Kompositionsprozesses. Die Qualität der fertigen Kompositionen ist dabei aber sehr stark abhängig von der Qualität der Grundthemen. Eine primitive Aneinanderreihung von sehr guten Grundthemen klingt meist immer noch ziemlich gut. Eine perfekte Ausarbeitung schlechter Grundthemen wird aber nie zu einem guten Stück werden - außer vielleicht in rein formaler Hinsicht.
Ekkehard: Die Stücke entstehen meist nach einem ähnlichen Muster. Schon bald, d.h. nach wenigen Kompositions-Sessions, formt sich in unseren Köpfen die grobe Struktur des vollständigen Liedes. Die Betonung liegt hierbei jedoch auf dem Wörtchen „grob“, denn es gut möglich, dass wir diese Struktur im Laufe der Kompositionsarbeit noch umschmeißen. Allerdings manifestiert sich zumeist spätestens nach einigen Wochen ein Ablauf, der nur schwer wieder umzustoßen ist, auch wenn er Stellen, Passagen oder Übergänge beinhaltet, mit denen wir nicht zu hundert Prozent zufrieden sind. So ein Lied ist ein fragiles Gebilde: nimmt an einer Ecke etwas weg, erklingt plötzlich ein anderer Teil in einem ganz anderen Licht. Der Spannungsbogen gibt die Struktur vor. So ist es manchmal notwendig, Passagen beizubehalten, die für sich genommen nur mindere Qualität aufweisen, jedoch im Kontext ihre Aufgabe vorbildlich erfüllen, in dem sie andere, benachbarte oder auch nicht benachbarte Passagen im hellen Licht erstrahlen lassen.
Über die Jahre seid ihr auch mehrfach im Ausland aufgetreten. Welche Erfahrungen habt ihr in den verschiedenen Ländern gemacht bzw. wie wurdet ihr vom Publikum aufgenommen?
Ekkehard: Unsere Auftritte in Frankreich und Belgien wurden stets von einem frenetischen Publikum begleitet. Ich möchte das aber auch wiederum nur zum Teil unserer Musik zuschreiben: wer einmal das Vergnügen hatte beispielsweise im Spirit of 66 in Belgien auftreten zu dürfen, weiß wovon ich spreche.
Kristian Selm © Progressive Newsletter 2008