Interview
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(Progressive Newsletter Nr.39 03/02)
Ausschnitte eines Interviews mit Thomas Thielen (Gesang, Gitarre, Keyboards)
"Naive" steht dafür, dass ich etwas Ursprüngliches zu sagen hatte, am ehesten zu mir selbst, als zum Rest der Welt. Ich wollte weg von dem gekünstelten Touch, den es im Art- Rock so oft gibt, und einfach das geschehen lassen, was sich über einige Zeit hinweg geschrieben hatte. Das ist naiv, weil es ebenso leicht angreifbar wie unverkopft ist - schwierige Hypothek für eine Veröffentlichung, aber es musste einfach raus.
Das Cover scheint mir sehr gut gelungen. Wer zeichnet sich dafür verantwortlich, kannst du uns etwas über den Designer erzählen?
Marco Scheiper alias anifan hat eine wunderbare Realisation dessen abgeliefert, was ich mir für das Album gewünscht hatte. Das lief meist so, dass ich eine Idee präsentiert habe und er dann mit einer Aufnahme zurückkam, die noch viel besser das ausdrückte, was ich gemeint hatte. Ich bin extrem glücklich mit seiner Arbeit, und angesichts dessen, dass er so ein junger Kerl ist, sage ich ihm mal eine Riesenzukunft voraus.
Wer war an "Naive" beteiligt und wo hast du aufgenommen?
In meinem Wohnzimmer. An den Aufnahmen war sonst niemand beteiligt, ich habe diesmal alles selbst gespielt und aufgenommen. meine Freundin, die mit mir zusammen wohnt, hatte sicher einiges auszuhalten während dieser Zeit, und über eine unbändige Geduld hinaus hat sie mir auch immer eine wahnsinnig gute Abschirmung vor dem Rest der Welt, einen Haltepunkt, wenn die Nerven am Ende waren, und Tipps geboten, ohne die "Naive" sicher immer noch nur auf der Harddisk wären...

Zum ersten Mal hat nicht Bob Katz das Mastering bei Galileoübernommen, sondern Andy Horn, ein Experiment, dass sich voll ausgezahlt hat. Ich denke, "Naive" ist das bestklingenste Album von Galileo. Wie ist es dazu gekommen? Wie groß ist Horns Anteil an der Produktion und am Mixing?
An der Produktion hat er keinen Anteil gehabt, die hatte ich von Anfang sehr klar vor mir im Kopf. Es ist so gelaufen, dass ich "Naive" gemischt habe, der Andy dann aber mit seinem viel besseren Equipment das Ganze noch mal nachgezeichnet hat. Dabei hat er dann auch so manchen tontechnischen Fehler meinerseits berichtigt und manches einfach begradigt, was sonst ein bisschen zu gewagt gewesen wäre. Bei der letzten Mixsession waren wir dann zu zweit und haben uns die Stücke so richtig zurechtgebogen. Danach ging es auch sofort ans Mastering, das wir auch zusammen grobgezeichnet haben, Andy aber danach noch sehr verfeinert hat. Ich denke, dass sein Anteil daran, dass das Album so gut klingt, riesengroß ist: er hat einfach das Know how, das du als kleiner Anfänger nicht haben kannst. Dazu kommt, dass das Arbeitsklima mit ihm einfach prima war, hat Riesenspaß gemacht. dicke Empfehlung, lesende Musiker!
Einige der Tracks stammen aus Deiner Zeit vor Scythe, Du spieltest damals mit einem Kumpel in einer Band namens "Clouds Can" (was für ein Bandname!) - wie sehr haben sich die Tracks entwickelt und gibt es eine Chance, dass die Aufnahmen dieser Band irgendwann einmal veröffentlicht werden?
Sag niemals nie... sagen wir so, die Sahnehäubchen sind nicht in Vergessenheit geraten... immerhin sind "Do not come back", "Round here" und "Mother" aus dieser Zeit. "Clouds Can" war aber auch nicht so sehr eine band, wie ein 2-mann-experiment. Ich habe eine Menge Stücke geschrieben damals, die ich für besser halte, als die Aufnahmequalität zugelassen hat... wir hatten einen Minisequenzer, der direkt in ein DAT aufgenommen wurde: 1-track-recording... zwei Stücke sind noch in meiner Hinterhand, die kommen vielleicht auf ein nächstes Album. Ein Demo, immerhin von 1994, kommt auch auf einen Sampler, den Andi Witte um die [progrock-dt] gerade organisiert... süße 18 damals...
Hättest du die Songs auf "Naive" nicht mit Scythe einspielen können? Hättest du das überhaupt gewollt?
Dickes "Nein" zu beidem. Ich schätze "Scythe" als Band sehr, bin aber ebenso sicher, dass mindestens Udo und Martin sich bei "Naive" gelangweilt hätten. Das Material ist zu gerade und zu harmonisch, zu melodieselig und zu mainstreamig (?) für Scythe, das passt einfach nicht. Außerdem hätte es eine Menge Kompromisse zu Tage gefördert, die ich nicht gewollt hätte, wenn wir zusammengearbeitet hätten, z.B. was die Arrangements angeht. Ich war froh, mal ganz nach meiner Nase steuern zu können, und ich hoffe, dass das diesen Songs wenigstens auch angemessen war: "Naive" ist von ganz tief drinnen, da wäre ich ein sehr schlechter Diskussionspartner gewesen, wenn es um Sachen á la "Comic Relief", Ironie oder kompositorisches Drumherum gegangen wäre.


Auf dem Album geht es oft um "She", und das meist in sehr düsteren Farben - kannst du uns da etwas mehr einweihen?
Es gibt zwar mehrere "she"s auf "Naive", wenn man es genau nimmt, aber es scheint mir, als bezögen sie sich alle auf eine sehr, sehr alte Freundin, auf die sich eigentlich das ganze Album immer und überall bezieht. Ich möchte nicht zu viel sagen, jedem sein eigenes "Naive", und es mag sehr kitschig klingen, aber "She" war die wichtigste Person, die mein Leben bisher gestreift hat... die einzige Zeit, in der ich meine Dämonen etwas unter Kontrolle hatte. Das Album ist ein Rückblick, die Platte zu machen war wie ein Photoalbum zu gucken, und zwar dieses vergilbte, das nicht verstaubt ist, weil man es nie wirklich aus der Hand legt, aber es nie aufschlägt, weil man zu viel Angst davor hat; man hält es in der Hand, trinkt einen Tee, schaut zum Fenster hinaus und wartet ab... irgendwann fühlt man sich kräftig genug, noch mal reinzuschauen...
Wie sehen generell Deine Zukunftspläne aus? Wird es noch weitere Soloalben von Dir geben?
Denke schon. Ich schreibe fleißig, oder besser: irgendwas schreibt sich fleißig. Es gibt 5 Titel, die ich unter dem Arbeitstitel "Drugs" zusammengefasst habe, alles ziemlich wild und laut und Indie und schräg. Könnte sein, dass das was für Scythe wird, könnte sein, dass es was eigenes bleibt. "Naive" musste raus, da gab es keine innere Diskussion drum, und es fühlte sich auch richtig an, ganz allein daran zu arbeiten, weil es der Versuch war, einen Albtraum zu beenden, der mich seit mehr als einem Jahrzehnt verfolgt. Was jetzt geschieht, weiß ich nicht, außer, dass es bisher nicht viel mit "Naive" zu tun zu haben scheint. Ich hatte Angst, überhaupt nichts mehr schreiben zu können, aber das war wohl nicht der Fall. "Naive" war so groß für mich, dass sich das danach wie ein neues Leben anfühlt... ein neues Leben, in dem wir Katzen sind...
Sal Pichireddu © Progressive Newsletter 2002