Interview


(Progressive Newsletter Nr.31 07/00)
Auszüge aus einem Interview mit Volker Söhl (Keyboards), Matthias Harder (Schlagzeug) und Marco Glühmann (Gesang)


„Encounters“ verfolgt zwar immer noch hauptsächlich die melodische, sinfonische Schiene, die Arrangements sind aber meiner Ansicht nach wesentlich komplexer und vielschichtiger geworden. Seit ihr an dieses Album mit anderen Ansprüchen herangegangen oder woher kommt die Entwicklung in neue Richtungen?

Volker: Natürlich waren unsere Ansprüche schon ein wenig anders als bei „Deliverance“; das resultiert auch schon aus den verschiedenen Ausgangssituationen, in denen beide Alben entstanden sind. Bei „Deliverance“ lag der Anspruch darauf, eine Art Resümee aus vielen Jahren musikalischer Entwicklung darzustellen, d.h. neuere und ältere Songs auf einer CD zu vereinen und trotzdem eine harmonische Linie zu verfolgen. „Encounters“ war daher ein wenig ungezwungener in seiner Entstehung und wesentlich stärker von einem Blick nach vorne geprägt.


Wie kamt ihr darauf ebenfalls Gastmusiker mitwirken zu lassen und vor allem wie entstand die Idee für die recht jazzigen Saxophonsoli?

Matthias: Der Gastauftritt von Lars Köster - Bassist der Hamburger Art-Rock Band Sophistree - kam zustande, da wir uns kurz vor den Aufnahmen von unserem eigenen Bassisten Patrick Münster getrennt hatten. Lars zeigte sich spontan bereit, uns aus der Klemme zu helfen und den Basspart einzuspielen.
Volker: Zu der Mitwirkung des Saxophonisten Sören Grimme kam es, als der gesamte Konzeptsong „Encounters“ in seinen wesentlichen Zügen vor uns lag und uns Teile auffielen, die nach einem solistischen Gastauftritt verlangten. Der jazzige Part im Stück „In vain“ war schon früher im Gespräch für ein Saxophonsolo gewesen. Bei „Your source“ ließen wir Sören dann frei seinen Stil entfalten und waren auf Anhieb mit dem Ergebnis zufrieden.


Artwork und Layout Eurer CDs bieten eine sehr gute Einheit mit der Musik. Wer hatte die Ideen für die grafische Umsetzung und was wolltet Ihr vor allem mit der optischen Umsetzung auf „Encounters“ darstellen?

Volker: Die Graphiken, die das Aussehen des Booklets bestimmen, resultieren aus den inhaltlichen Ideen des Konzeptsongs „Encounters“. Für uns stand von Beginn an fest, daß die Graphiken darauf Bezug nehmen sollten. Bei der Umsetzung allerdings hatte unser Freund und Graphiker Marko Heisig freie Hand, denn es war unsere Absicht, daß er sich von unserer Musik und dem Text inspirieren lassen sollte.


Könnt Ihr mir etwas mehr über das Konzept und der Textaussage des neuen Albums erzählen?

Matthias: Wir haben auf dem neuen Album drei inhaltlich voneinander getrennte Songs. Im Zentrum steht dabei der über 40 Minuten lange Konzeptsong „Encounters“. Er thematisiert das Aufeinandertreffen zweier grundverschiedener Urgewalten, die sich auf unerklärliche Weise voneinander angezogen fühlen und letztendlich zu neuem Leben verschmelzen. Es ist ein Song über Schicksal, Vorbestimmung und dem eigenen Sieg gegen Vorurteile.


Ist der Titelsong "Encounters" als ein Titel zu sehen oder habt ihr mit der Aufteilung in zehn Einzelteile den Songs Raum für eine gewisse Eigenständigkeit gelassen?

Volker: Im Grunde genommen ist „Encounters“ natürlich ein durchgängiger Konzeptsong, der sich einer einheitlichen Thematik beziehungsweise Grundstory bedient. Aber wie du schon richtig andeutest, wollen wir dem Hörer die Chance geben, bei der musikalischen wie auch der inhaltlichen Interpretation der Einzelteile auch mal den Gesamtzusammenhang zu ignorieren.
Marco: Wir haben versucht die musikalische Individualität der Tracks durch textliche Eigenständigkeit zu unterstützen.
Matthias: Songs wie z.B. „Your source“ oder „In vain“ haben im Gesamtkonzept von „Encounters“ ihren festen Platz und eine feste Bedeutung. Nimmt sich der Hörer den Song jedoch als einzelnen Song vor, können die Texte auch ohne den Gesamtzusammenhang betrachtet werden und ergeben vermutlich einen ganz anderen Sinn. Das war unser Ziel.


Wie sieht bisher das allgemeine Echo bezüglich „Encounters“ aus?

Matthias: Die hervorragenden Kritiken im Empire Magazin oder auf vielen Homepages im Internet zeigen uns, dass unser Album richtig aufgenommen wird. Da ist man sich als Band vor einer Vö- gar nicht so sicher. Man steckt zu tief drinnen in der neuen Musik. Obwohl man an sie glaubt, hat man kein Gefühl mehr, wie sie auf jemanden wirkt, der nicht wie wir den ganzen Entstehungsprozess mitgemacht hat. Wir selber wissen ja, wovon wir mir unserer Musik erzählen wollen. Wenn die Kritiken dann begeistert über das neue Album schreiben, hat man als Musiker das Gefühl verstanden worden zu sein!


Was gab es allgemein für Reaktionen auf Eure Musik, vor allem auch aus dem Ausland?

Marco: Unsere erste CD „Deliverance“ wurde außergewöhnlich positiv aufgenommen. Das ist bei der Fülle von neuen Bands die heutzutage um die Gunst des Hörers feilschen keine Selbstverständlichkeit. Wir haben Emails aus Europa, den USA, Australien oder auch Canada erhalten, die uns zu unserem Debüt gratulierten. Das ist schon sehr aufregend!


Könnt Ihr etwas mehr über Eueren Beitrag zum Pink Floyd Sampler "Signs of life" erzählen. Wie kam es zu dieser Mitarbeit und warum habt Euch gerade „High hopes“ herausgesucht?

Volker: Zunächst einmal mochten wir alle das Original sehr, daher kam es natürlich in die enge Auswahl. Außerdem einigten wir uns darauf, bewußt die älteren 'Klassiker' zu ignorieren; erstens, weil uns klar war, dass viele dieser Stücke von anderen Bands bereits gewählt worden waren und zweitens, da bei diesen 'Klassikern' - seien wir ehrlich - der Respekt unsererseits noch viel höher war, als bei dem neueren „High hopes“.
Matthias: Außerdem enthält „High hopes“ viele Anlagen, die für eine Sylvantypische Interpretation mehr als dienlich waren.


Noch vor den Aufnahmen zu „Deliverance“ habt ihr den ursprünglichen Bandnamen von Chamäleon in Sylvan geändert, was in Eurer Bandgeschichte damit begründet wird, den ewigen Vergleich bzw. Verwechslungen zu Marillion loszuwerden. Wolltet Ihr Euch damit aus der eigenen Schublade befreien oder gab es einfach zu viel voreingenommene Einstellungen bzgl. des Bandnamens?

Matthias: Der Namenswechsel hatte zweierlei Gründe. Zum einen ist es sicherlich nicht dienlich einen Namen zu haben, der auch gut zu einer Marillioncoverband gehören könnte. Damit möchte ich nur zum Ausdruck bringen, dass Sylvan mehr ist, als nur eine billige Kopie des Originals. Zum zweiten gibt es tatsächlich in Deutschland eine Fülle von kleinen Bands, die aus unterschiedlichsten Gründen auf die Idee gekommen sind, sich Chamäleon zu nennen. Da wurde ein Wechsel des Bandnamens schon fast unvermeidbar!


Sylvan bestehen seit über zehn Jahren. Gibt es eigentlich noch Songs aus der Frühphase bzw. älteres, unveröffentlichtes Material, welches noch Verwendung auf folgenden Alben finden wird oder habt ihr mit der Vergangenheit abgeschlossen und seit mehr auf der Suche nach Neuem?

Matthias: Ja es gibt noch unveröffentlichte Songs und Ideen. Inwieweit jedoch der ein oder andere Teil oder sogar das ein oder andere Stück noch Verwendung finden wird, ist heute noch nicht abzusehen. Tatsächlich ist „No way out“ aus einem sehr alten Stück von uns entstanden. Und „No way out“ ist eines der Stücke, dass am modernsten auf dem neuen Album klingt. Oft ist es also nur eine Frage des Arrangements und des Soundgewandes!


Wie fast überall in Deutschland, sieht es wahrscheinlich auch in Hamburg nicht gerade rosig für unbekannte Bands aus an Gigs heranzukommen, besonders dann, wenn sie auch noch Progressive Rock spielen. Wie haltet Ihr Euch livemässig über dem Wasser?

Matthias: Fast gar nicht. Das ist wirklich die wohl traurigste Seite an unserer Musik. Das produzieren einer neuen Platte ist schon ein ungeheurer finanzieller Kraftakt für uns. Dann aber auch noch regelmäßig Geld zu verlieren, indem man Konzerte vor dreißig Zuhörern spielt ist kaum noch zu rechtfertigen. Wir sind eine Band die gerne live spielt und den direkten Kontakt zum Publikum liebt. Eine Tour als Supporting Act einer bekannteren Band wäre natürlich eine Lösung, doch verlangen die Organisatoren von einer Vorband dafür horrende Summen, die wir und unsere Plattenfirma nicht aufbringen können. Und solange solche Labels wie InsideOut sich prinzipiell gegen das Zusammenspielen ihrer und labelfremder Acts sperrt, ist dort im großen Stil sowieso nichts zu erreichen. Man kann uns dieses Jahr auf jeden Fall am 4. November beim Progfarm Festival sehen und wir versuchen zumindest noch ein Doppelkonzert mit der Band Sophistree zu organisieren.


Kristian Selm © Progressive Newsletter 2000