Interview


(Progressive Newsletter Nr.42 12/02)
Ausschnitte eines Interviews mit Marco Glühmann (Gesang), Matthias Harder (Schlagzeug), Sebastian Harnack (Bass) und Volker Söhl (Keyboards)


Wann entstanden die Ideen für "Artificial paradise" und wie lange wart ihr mit dem Schreiben der Songs bis zur letztendlichen Aufnahme beschäftigt?

Matthias: Der Großteil der Songs wurden im Sommer 2001 geschrieben und im Herbst des selben Jahres aufgenommen. Abgesehen davon gab es aber auch einzelne Ideen, die entweder noch aus der "Encounters" Zeit stammten und von damals übrig geblieben waren, z.B. "Timeless traces", oder kurz danach entstanden, "That's why it hurts".


Ist das Album aufgrund der inhaltlich ähnlich gelagerten Texte über das Auf- und Ab im Leben, als eine Art Konzeptalbum zu betrachten?

Volker: Nein, als ein Konzeptalbum würde ich "Artificial paradise" nicht bezeichnen, eher als eine Ansammlung von Songs mit konzeptioneller Übereinstimmung, die allerdings gewollt war.
Marco: Die Inhalte der einzelnen Songs handeln in der Tat vom Auf und Ab des Lebens und verkörpern Einzelschicksale, verschiedene emotionale Zustände. Obwohl jeder Track eine unterschiedliche Situation beschreibt, dreht sich doch alles um das Innenleben der verschiedenen Charaktere mit ihren eigenen Problemen. Gebündelt werden diese Thematiken dann durch den Titelsong des Albums, in dem genau das künstliche Paradies mit all seinen oberflächlichen Reizen und seiner Anonymität beschrieben wird, welches dennoch all diese Einzelschicksale und Emotionen beinhaltet ­ und immer ein Teil unser modernen Gesellschaft sein wird. Reale Gefühle sind also Hauptbestandteil sowohl der Texte als auch der Musik.


"Artificial paradise" klingt als Album im Gesamteindruck noch eigenständiger, moderner, losgelöst von klischeebeladenen Prog Zitaten. Dennoch hört man Eure Wurzeln durch, dafür aber viel subtiler. Wolltet ihr mit dem Album auch stilistisch einen neuen Weg gehen, einfach auch neue Dinge ausprobieren?

Marco: Wir wollten und wollen immer neue Dinge ausprobieren, Dinge die uns Spass machen und in unsere Musik hineinpassen. Mit "Artificial paradise"sind wir sicherlich unserem eigenen Stil einen grossen Schritt näher gekommen und haben uns ­ hoffentlich auch für die Kritiker abgelöst von Vorbildern oder Klischees. Wir wollten versuchen, den Prog-Rock auch einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Daher ­ und auch aufgrund der Notwendigkeit für die emotionale Tiefe der Musik ­ sind unsere Songstrukturen klarer und verständlicher; wir haben uns sehr viel Zeit für Melodik und Rhythmik gelassen.


Stand für euch von Anfang an fest, dass "Artifical paradise" stilistisch so vielschichtig angelegt werden sollte, dass neben ruhigeren Nummern, als Ausgleich auch härtere Parts - vielleicht die bisher extremsten für Sylvan im Titelsong - auf dem Album Platz finden würden?

Matthias: Ich denke, dass auch hier die Produktion diesen Eindruck vermittelt. Rein von der Komposition her befinden sich ähnlich extreme Teile auch auf "Encounters". Unsere älteren Aufnahmen klingen halt noch nicht so dynamisch.
Volker: Das bemerken viele Leute auch, wenn sie uns Live hören. Häufig sind die Zuhörer überrascht, wie druckvoll das "Encounters" Material auf unseren Konzerten klingt.


Wer hatte die Idee für fast schon souligen Schlusspart von "Strange emotion" mit Backgroundsängerinnen?

Matthias: Als wir an "Strange emotion" arbeiteten fiel uns irgendwann auf, dass dem Song noch irgendein Höhepunkt fehlte. So entschlossen wir uns, am Ende etwas Sylvan untypisches zu arrangieren. Wer von uns letztendlich die Idee hatte, einen Art Gospel Chor zu verwenden, erinnere ich nicht mehr genau.


Was waren die Gründe "Artifical paradise" im Eigenvertrieb herauszubringen und nicht, wie die beiden Vorgängeralben, bei Angular Records?

Matthias: Es wird immer schwieriger, seine Unkosten wieder einzuspielen. Das mangelnde Interesse an Prog Rock, aber auch die vielen raubkopierten CDs sind da natürlich ein nicht ganz unerheblicher Faktor. Uns wurde irgendwann klar, dass es langfristig nur die Möglichkeit gibt, möglichst nah an die Käufer unserer Musik heran zu kommen. Jede Zwischenstation hält nämlich die Hand auf und nimmt sich einen Grossteil des sauer verdienten Geldes. Im Ideal Fall haben wir in ein paar Jahren die E-Mail Adressen von ein paar Tausend Sylvan Fans weltweit, an die wir ein neues Album dann direkt verkaufen können!


Könnt ihr schon einschätzen, ob sich der Schritt zur kompletten Eigenverantwortung bisher auszahlt oder werden dafür noch einige Monate ins Land gehen? Hängt dabei das Fortbestehen vom finanziellen Erfolg ab?

Sebastian: Für eine solche Einschätzung müssen wir die ersten Verkaufzahlen von den Vertrieben abwarten. Aber so wie es im Moment aussieht, läuft die Sache recht gut an, und wir bekommen sehr viele positive Rückmeldungen. Aber man wird sehen. Zum Thema Fortbestehen lässt sich nur sagen, dass wir durch die sehr aufwendige Produktion vor beachtlichen Schulden stehen und unser erstes Ziel ist es natürlich, diese wieder loszuwerden. Deshalb hängt vielleicht nicht das Fortbestehen von Sylvan, aber auf jeden Fall das Herausbringen eines neuen Albums oder die Realisierung von anderen Projekten stark davon ab, wie sich "Artificial paradise" verkauft.
Volker: Wenn wir dann in einem halben bis dreiviertel Jahr unsere Unkosten nicht wieder eingespielt haben, wissen wir Bescheid, das es so auch nicht weitergehen kann. Das klingt sehr negativ und keiner von uns hofft, das so etwas passieren wird, aber Verkaufszahlen sind nun mal gerade in unser Situation das Maß aller Dinge. Also: Losgehen und die Scheibe kaufen!


Was für Erfahrungen und Erlebnisse habt ihr von euren diversen Festivalauftritts aus dem Ausland mitgebracht? Inwieweit wirkt sich dies als Inspiration aufs Songwriting bzw. die generelle Entwicklung als Band aus?

Sebastian: Für mich waren fast alle Auftritte große klasse! Besonders die Auslandskonzerte sind immer wieder aufregend und faszinierend. Es ist jedes Mal wie ein kleiner Urlaub mit Freuden, wenn man irgendwohin zu einem Konzert reist.
Matthias: Live Konzerte sind das, was eine Band am Leben hält, finde ich, da man direkten Kontakt zu seinen Fans hat. Ein gutes Konzert kann einen locker für ein paar Monate motivieren weiter zu machen. Das schöne an Festival Auftritten ist die Tatsache, dass sie in der Regel gut besucht sind, man andere Bands trifft und sich mit Ihnen austauchen kann. Immerhin haben fast alle mit den gleichen Problemen zu kämpfen.
Volker: Ob sich tolle Gigs jedoch generelle auf die Entwicklung der Band auswirken, ist schwer zu sagen. Klar sind solche Erlebnisse motivierend und verbessern die Routine und Spielpraxis; in musikalischer Hinsicht beeinflußt uns das aber wohl weniger.


Könntet ihr etwas über Eure erste Videoproduktion erzählen?

Matthias: Vor etwas mehr als einem Jahr haben wir unser bislang erstes und einziges Video gedreht: zum Song "No way out" von der CD "Encounters". Es ist ein reines Promotion Video, das Sylvan als Live Band präsentiert. Wir werden es im nächsten Jahr entweder auf unserer Homepage zum Download, oder als Bestandteil einer Special Edition veröffentlichen.

Was hat es mit der "Encounters" Choreographie aus sich, die man auf Eurer Homepage bewundern kann?

Matthias: Vor etwa zwei Jahren kam die Choreographin einer freien Tanzgruppe aus Hamburg auf uns zu, mit der Bitte, den Konzeptsong "Encounters" zur Aufführung bringen zu dürfen. Sehr geschmeichelt von dieser Idee erklärten wir uns dazu bereit, für beide geplanten Aufführungen die Musik live zu spielen.
Marco: Letztendlich wurde dann im Sommer 2001 "Encounters" in einer Art und Weise aufgeführt, wie es ansonsten nur sehr viel bekannteren Bands möglich ist: mit einer genialen Tanz- und Light Show!


Kristian Selm © Progressive Newsletter 2002