Interview
(Progressive Newsletter Nr.44 05/03)
Ausschnitte des Interviews mit Karlheinz Wallner (Gitarre)
Wir sind sehr, sehr zufrieden!!! Das war unsere zweite Tour und im Vorfeld macht man sich immer ein bisschen Sorgen, ob alles klappt, ob wir auf die „Trying to kiss the sun“-Tour vom letzten Jahr aufbauen könnten, etc. Aber wir wurden sehr positiv überrascht! In Essen hatten wir doppelt so viele Leute wie im Jahr zuvor und in Poznan / Polen sind mehr als 700 Leute zu uns gekommen mit Autogrammstunde beim dortigen Media-Markt! Das waren schon tolle Erlebnisse. Aber ich möchte gar nicht einen Club besonders hervorheben. Jeder Gig war ein besonderer und wir haben jeden einzelnen genossen! Wir haben bei dieser Tour auch das erste Mal mit Video-Einspielungen experimentiert. Neben unserer obligatorischen Quadrophonie wird das wohl in fester Bestandteil der RPWL-Performance werden! Es war eine große Herausforderung, passendes Bildmaterial zu unserer Musik zu finden und entsprechend einzusetzen, was die Leute aber unglaublich positiv honoriert haben! Wir haben bereits auf der Tour und jetzt auch im Nachhinein soviel positives Feedback bekommen, dass es uns schon selber unheimlich wird! Vielen Dank dafür!!!
Hängt es mit den aktuellen politischen Ereignissen zusammen, dass ihr speziell Peter Gabriels „Games without frontiers“ als Zugabe gespielt habt?
Natürlich! Wir haben bereits letzten November bei unseren Konzert bei Uwe im Bergkeller/Reichenbach den Song aufgrund der aktuellen Lage gespielt. Das ganze hat sich nun leider vor der Tour weiter zugespitzt und am Tag, als wir in Boerderij spielten, rollte schließlich die erste Angriffswelle. Das hat uns alle im Tourbus sehr mitgenommen und wir haben am Abend zusammen mit Ritual auf der Bühne eine Schweigeminute eingelegt. Denn unabhängig von der politischen Meinung vergisst man beim CNN-gucken im Fernsehen gern allzu schnell, dass mit einem Krieg so viele Schicksale verbunden sind und Menschen sterben, und zwar jenseits des Bildschirms! Daran wollten wir erinnern und unserer eigenen Erschütterung ein wenig Luft machen.
Wie war das Verhältnis bzw. die Erfahrungen mit Ritual?
Tja, wie soll man das beschreiben?! Eigentlich war es wie eine "Familien-Zusammenführung"! Aus zwei Bands wurden während dieser Tage eine! Wir waren uns gegenseitig so einig und so ähnlich, dass es an einem Wunder grenzt. Komplette Harmonie während der Tour! Das wirkt sich natürlich auch auf die Konzerte und die Spielfreude auf, zumal wir ja auch noch den Ausfall unseres Drummers Phil kompensieren mussten. Das war wirklich ein tolle Erfahrung und wir werden mit Ritual sicher nicht das letzte Konzert gespielt haben. Es ist nicht übertreiben, wenn ich sage, dass sich richtige Freundschaften gebildet haben.

Kannst Du mir Stück für Stück die einzelnen "Stock" Songs kommentieren, was z.B. für Geschichten dahinterstecken, wann die Songs entstanden sind?
„Opel“: ein alter Syd Barret Klassiker, den er auf seiner Aufnahme nur mit der Akustik-Gitarre begleitet. Wir haben ihn auf der „Trying to kiss the sun“-Tour oft als Soundcheck-Nummer gespielt und darüber gejammt und wollten ihn unbedingt für „Stock“ machen!
„Way it is“: Einer der ersten Songs von RPWL generell! Den haben wir auch schon öfter mal live gespielt. Ich weiß gar nicht mehr, warum wir ihn für „God has failed“ nicht gemacht haben, aber beim "Wieder-mal-hören" war er ein Grund, warum wir „Stock“ überhaupt realisiert haben.
„Perceptual response“: sollte auf „God has failed“ der Übergang zu „In your dreams“ werden. In Surround sehr beindruckend!
„Forgive me“: Es war immer geplant, „Forgive me“ auf „God has failed“ in verschiedene Teil zu teilen, so wie wir es ja dann mit „Hole in the sky“ gemacht haben. Nachdem aber die Entscheidung gegen „Forgive me“ gefallen war, hatte auch dieser Teil keine Berechtigung auf „God has failed“.
„Gentle art of swimming“: für mich der wesentliche Song auf „Stock“. Für unsere Verhältnisse sehr "progy" und verspielt. Über den haben wir für die „Trying to kiss the sun“-Session viel gejammt, aber sind dann einfach nicht fertig geworden. Die Live-Version ist derzeitig wieder ein wenig anders. Eigentlich ein Song, der nie fertig wird. Thematisch geht’s um die Wirren und Verschlungenheiten im Leben. Schön, dass wir ihn nun realisiert haben!
„Who do you think you are“: den Song habe ich mit Yogi vor 5 Jahren oder so während eines Kurz-Urlaubs geschrieben. Als wir voller Begeisterung damit zurückkamen, hat Phil mit Bandausstieg gedroht, falls wir den Song tatsächlich aufnehmen wollten. Also haben wir eine andere Version für „God has failed“ gemacht - übrigens dieselben Chords!
„Who do you think we are: going outside“: war ein Überbleibsel, als wir mit Athmos, Samples und Effekte für „Trying to kiss the sun“ experimentierten.
„Sun in the sky“: der eigentliche Titelsong von „Trying to kiss the sun“. Und zwar solange, bis wir „Trying to kiss the sun“ als letzten Song komponierten. Sozusagen als eine "Ballade zuviel" entschlossen wir uns schweren Herzens, ihn nicht für „Trying to kiss the sun“ zu berücksichtigen.
„Forgive me Part 2+3“: der Song stammt von Chris Postl, unseren originalen Bassisten und war ursprünglich nur mit Klavier-Begleitung. Für „God has failed“ war er uns einfach zu "schwer" und passte für uns nicht in das Album Konzept, obwohl wir auch ihn öfter schon mal live im Programm hatten.
Was hat es mit dem Hidden Track auf sich?
Der Hidden Track "Moonflower" entstand, als ich mit Yogi zusammen die ganze Nacht im Studio durchgearbeitet haben und es auf einmal hell war und draußen die Vögel zwitscherten. Am Anfang kann man das auch hören, wir haben nämlich den Gesang bei offenem Fenster aufgenommen. Nach so einer Nacht bist Du natürlich irgendwie komisch drauf und übermüdet. Und ich saß auf der Couch und klimperte auf der Gitarre rum - eigentlich um mich wach zu halten - und dann kam Yogi dazu und das eine ergab das andere. Ein gute halbe Stunde später war der Song nicht nur geschrieben, sondern auch aufgenommen. Zugegebenerweise ein wenig seltsam, aber diese Facette von RPWL wollten wir den Hörern einfach nicht vorenthalten...
Seht ihr "Stock" als eine Art Abschluss eines Kapitels, wodurch ihr Euch nun ohne 'Altlasten' neuen Aufgaben widmen könnt?
Schön, dass Du das sagst. Wir empfinden es tatsächlich so. Es wäre schade gewesen, die Songs auf „Stock“ einfach in der Schublade verstauben zu lassen. Aber wir haben ständig neue und aktuelle Ideen, mit denen sich man für ein neues Album natürlich lieber beschäftigen möchte, als mit Ideen, die 2 bis 5 Jahre alt sind. Man verarbeitet ja in der Musik auch seine gegenwärtigen Eindrücke und die mag man dann auch "zu Gehör" bringen, solange sie "frisch" sind. Außerdem war es eine riesige Herausforderung, den 5.1 Mix der DVD zu realisieren. Dieses Gebiet ist ja noch ziemlich Neuland. Und für uns hat es sich doppelt angeboten, da wir ja praktisch unseren quadrophonischen Live-Sound ins Studio projizieren konnten. Dafür haben wir viel Zeit aufgebracht, aber es hat sich gelohnt! Man ist von der Musik im wahrsten Sinne des Wortes umgeben!
Kristian Selm © Progressive Newsletter 2003