Interview
(Progressive Newsletter Nr.45 08/03)
Ausschnitte eines Interviews mit Hellmut Hattler (Bass)
Nachdem ich die letzten Jahre mit, ich sag' mal "normaleren", also kompatibleren Künstlern zu tun gehabt hatte, habe ich plötzlich verstanden, dass die Band Kraan anders funktioniert als alle anderen Konstellation von Musikern, die ich kenne. Das macht sich daran fest, wann und unter welchen Umständen sich eine kreative Atmosphäre einstellt. Bei Kraan passiert das erst, wenn es "kein aussen" also keine Firmen oder Manager gibt, die, mit der Uhr in der Hand, das Schreiben von Titeln und Texten einfordern, oder die Studioarbeit überwachen. Im Gegenteil, wir brauchen einen abgeschiedenen Platz, an dem der Musik sozusagen beim Entstehen zugehört werden kann. Jetzt, wo kein tonnenschweres Gerät mehr bewegt werden muss, ist es ja relativ einfach, die Maschinen an den auserwählten Ort zu bringen. Wir nahmen auch selbst auf, d.h. es war ausser den Musikern niemand in der Nähe, geschweige denn im Raum. Als wir die aufnahmen beendet und gemischt hatten, als der Prozess also beendet war, war es schon die Frage, wie das nun verwertet werden würde, aber da ich ja mein eigenes Label habe, auf dem auch schon zwei weitere Kraan Alben erschienen waren, musste ich die Band nicht allzusehr beknieen, auch „Through“ hier, bei Bassball Recordings, zu veröffentlichen. Im Grunde ahnten wir, dass "grössere" Labels diese Art von Musik auch nicht besser vermarkten können, als wir selbst. Da Edel als Vertrieb ein sehr gutes Angebot gemacht hat, war es klar: wir behalten die Sache in der Hand.
Hat sich nach der langen Pause zwischen euren letztem Studioalben, etwas an der Arbeitsweise bzw. dem Komponieren der Songs geändert?
Ja. Es wurden 95% der Ideen für die neue CD beim Zusammenspiel - hauptsächlich von Peter Wolbrandt und mir - entwickelt; gerade so wie es zu der Zeit, als die Band noch zusammen wohnte, gemacht wurde. Die letzten Studioalben von 1989-'92 waren schon ein buntes Sammelsurium von handgespielten und am Rechner erstellten Titel. "Through" sollte authentisch und homogen werden, sonst hätten die Aufnahmen keinen Sinn für uns gehabt.
Auf der Coverrückseite von "Through" sieht man euch vor eurem ehemaligen Domizil Wintrup. Wer hatte die Idee für dieses Foto und wie war es wieder dorthin zurückzukehren?
Im Dezember 2002 hatte die Stadt Detmold ein Kraan Konzert in ihrer Stadthalle gebucht. Die Lippische Landeszeitung machte einen großen Artikel, dessen Aufhänger die glorreichen Kommunezeiten in Wintrup war. Dazu fuhren wir für einen Fototermin hin und waren recht gerührt. Auch die "Welt am Sonntag" hat Peter und mich noch mal hingelockt, um ein Interview am legendären Ort zu führen...

Zehrt ihr von den Erfahrungen, die ihr damals gemacht habt, heute noch, nicht nur in Hinsicht auf gewisse bewusstseinserweiternde Mittelchen?
Was ich von diesen besagten Mittelchen gelernt habe, ist, dass alles, was ohne sie gemacht wird, zehnmal besser ist. Ich bin Drogen gegenüber längst ziemlich feindselig eingestellt. Nikotin eingeschlossen. Aber es gibt viele Erfahrungen, die ich nicht missen wollte: gemeinsames Eigentum, Putzen für andere, bekocht werden, spülen... Gruppenkonflikte, und -freundschaften, meist unerfreuliche Experimente mit offenen Beziehungen, auch die ausschweifenden Sommerfeste in Wintrup... darüber hinaus: all das alles hinter mir zu lassen, um es auch außerhalb eines solchen Systems, in kleineren Kreisen anzuwenden. Obwohl ich einst Wintrup das "erste selbstverwaltete Irrenhaus" genannt habe, wollte ich keinen Tag dort missen.
War die Reunion 2000 lediglich als eine Art einmaliges Zusammentreffen für zwei Konzerte - in Ulm und auf dem Burg Herzberg Festival - angedacht und hat sich alles weitere danach mehr aus dem Lustprinzip entwickelt oder gab es so etwas wie eine Planung?
Die Zeit war für alle Beteiligten günstig sich auf eine Wiedervereinigung einzulassen. Dass es allerdings irgendwann auf ein komplett neues Album rauslaufen würde, hätte ich nie und nimmer geglaubt. Das ist ja noch mal eine ganz andere Dimension, als "nur" alte Titel einzuüben, auf die Bühne zu hüpfen und den Hörern noch mal zu einer nostalgischen Hormonausschüttung zu verhelfen!
Hättet ihr eigentlich damals gedacht, dass ihr noch über solch einen Bekanntheitsgrad verfügt und führte dies letztendlich auch dazu, weiterzumachen und wieder ein Album aufzunehmen?
Ich glaube, dass wir es nicht gegen den Willen der Welt gewagt hätten. Wir wurden auf einer Welle der Sympathie, die wirklich aus allen Ecken der Welt kam, getragen. Das ist ein sehr schönes Gefühl.

War es eigentlich reiner Zufall, dass passend zu Eurer Reunion die ganzen Kraan Alben endlich auf CD wiederveröffentlicht wurden?
Ja, absolut. Aber es kamen da ja einige "Zufälle" zusammen!
In welchen Bereichen wart ihr zwischen dem Kraan Split Anfang der 90er bis zur Reunion tätig?
Ich habe immer Musik gemacht, ich kann ja nichts anderes, Ingo auch, Jan teilweise, Peter hat im Programmierbereich gearbeitet.
Dieses und letztes Jahr, seid ihr zum ersten mal in den U.S.A. auf dem Progday Festival und NEARfest aufgetreten. Gab es irgendwelche Erwartungen diesbezüglich von eurer Seite und wie seid ihr bei diesen Festivals angekommen, bei den ansonsten hauptsächlich Bands aus dem Progressive Rock / Art Rock Bereich spielen?
Es gab ständig Standing Ovations. Ich glaube, so viel Lob gab es sonst noch nirgends. Das passt ganz gut, auch die amerikanischen Prog-Rradio-Stationen spielen Kraan verstärkt.
Wie stehst Du generell zu der Aussage der großen Plattenfirmen, das MP3 und Download im Internet der Musikkiller Nr.1 sei?
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall soll ja auch der Killer der Wirtschaft sein...hmmm, ich habe die Möglichkeit, das zu tun, was ich kann und was mir wichtig ist. dass ich mich heute auch mehr um das Produkt, als nur um den Prozess Musik kümmere, hat mit der Einschätzung der Industrie mit meiner Musik und meiner Einschätzung der Industrie zu tun. Ich versuche, das, was ich veröffentliche, so gut wie irgend möglich zumachen. Das ist nicht mehr als ein Angebot. Was damit geschieht überlasse ich dem denkenden Teil der Menschheit.
Kristian Selm © Progressive Newsletter 2003