Interview


(Progressive Newsletter Nr.53 09/05)
Ausschnitte eines Interview mit Bernhard Wöstheinrich (Electronic, Percussion)


Wie viel Arbeit und Zeit habt ihr in "Never trust the way you are" gesteckt, da dass Album z.B. im Rahmen verschiedener Sessions entstand und ihr auch örtlich getrennt seit?

Die örtliche Trennung war und ist das kleinste Problem. Die gesamte Dauer bis zur Fertigstellung der CD betrug ca. 2,5 Jahre; vom Dezember 2001 bis 2004. Dabei muss man aber festhalten dass die CD gewissermaßen zu jedem Zeitpunkt immer ein fertiges Produkt darstellte, selbst direkt nach den ersten, vollkommen frei improvisierten Aufnahmesessions. Die meisten Aufnahmen, auch die nachträglichen Overdubs, wurden entweder in meinem Studio oder im Studio von Modo Bierkamp in Hannover gemacht. Alle weiteren Aufnahmen, wie z. B. auch die Drums von Pat Mastelotto wurden jeweils in den Studios vor Ort gemacht. Dank des Internets ist es heutzutage kein großes Problem solche Produktionsprozesse zu koordinieren wenn die entsprechenden Kontakte erst einmal hergestellt sind. Ein großer Teil der Arbeit bestand aber vor Allem darin Konzepte für die Veröffentlichung zu entwickeln und in Abhängigkeit davon über auch die Form der Produktion zu diskutieren. Als ein Ergebnis dieser Vorarbeit kann man die EP "The Scent of Crash and Burn" betrachten, die sozusagen ein Pre-Release zu der "Never trust the way you are" darstellt.


Wie gelingt euch die Balance aus Eingängigkeit und Anspruch, ohne dass eure Musik zu banal bzw. zu verkopft wirkt?

Diese "Balance" ist im Grunde genommen vermutlich ein Ausdruck von dem künstlerischen Anspruch den wir selbst an die Musik haben. Der eigene Anspruch ist meiner Meinung nach der einzige Maßstab an dem man sich wirklich halten kann. Alles andere scheint mir reine Spekulation. Das Ziel sollte doch sein, ein Werk zu erschaffen von dessen Richtigkeit ich selbst überzeugt sein kann. Nur dann eröffnet sich die Möglichkeit dass andere Menschen den Gehalt eines Werkes auch erkennen können. "Verkopft" kann ja in diesem Zusammenhang ja nur bedeuten dass man Musik macht die auf der Ebene des intuitiven ästhetischen Empfindens nicht funktioniert, das aber dann durch ein willkürlich erdachtes Konstrukt wieder zusammen geflickt werden soll. Ich persönlich bin aber davon überzeugt dass man die menschliche Wahrnehmung nicht mit intellektuellen Plattitüden überrumpeln kann. Erst wenn mir das Essen wirklich schmeckt was mir vorgesetzt wird kann ich mich auch von sehr ungewöhnlichen Zutaten überzeugen lassen.


Wie hat sich eure musikalische und kompositorische Herangehensweise generell verändert, seit dem Tim Bowness als Sänger hinzugestoßen ist?

Eigentlich gar nicht. Auch wenn viele Menschen durch den Gesang von Tim Bowness einen Zugang zu unserer Musik bekommen haben, so bleibt der musikalische Substanz und die entsprechende Vorgehensweise doch die Gleiche wie bei all unseren anderen Produktionen. Wenn man nun unseren bisherigen Veröffentlichungen zum Vergleich heranzieht wird man natürlich stilistische Unterschiede feststellen, die aber für uns als Musiker keine wirkliche Relevanz in Bezug auf die Arbeitsweise haben. Wie ich schon bemerkt habe ist der eigene Anspruch der einzige Maßstab, der verbindlich sein kann. Dementsprechend besteht die Aufgabe primär immer wieder darin zu erforschen was das eigentliche Ziel der Arbeit darstellt um es dann mit den notwendigen Schritten zu verwirklichen.


Inwieweit hat sich die Zusammenarbeit mit Pat Mastelotto als "echter" Schlagzeuger auf die klanglichen Möglichkeiten von Centrozoon ausgewirkt?

Ich möchte den Einfluss als "erfrischend" bezeichnen. Da die Stücke von vorn herein ja schon mit vollständigen Sequencer-Drums konzipiert und aufgenommen waren brachte der Einfluss eines Musikers mit einem dem Fokus virtuose Drums- und Percussions natürlich einen völlig neuen Groove in die Musik. Ich denke, ähnlich wie der Gesang von Tim die Musik für viele Menschen öffnet und komplettiert, so kann auch der musikalische Einfluss von Pat unsere Musik erweitern und für den Hörer in eine neue Bedeutung gewinnen lassen.


Hat euch die Entwicklung von der reinen Instrumentalband hin zu einen mehr songorientierten Ansatz neue Möglichkeiten hinsichtlich Auftrittsmöglichkeiten bzw. einer weiteren Verbreitung eurer Musik ermöglicht?

Bei dem Booking von Auftritten sind immer viele verschiedene Faktoren entscheidend. Generell ist die Musik mit Tim als Sänger für viele Menschen viel zugänglicher und es fällt daher auch leichter sie anzubieten. Natürlich nutzen wir diese Tatsache. Weiterhin liegt es auf der Hand, dass Tim bereits viele Fans durch seine Band "No-Man", mit dem Kopf der Band "Porcupine Tree", Steven Wilson, erreicht hat, die nun mit großen Interesse auch die Arbeit von Centrozoon verfolgen. Auch das kann für ein Booking ausschlaggebend sein. Das bedeutet aber keinesfalls dass die Konzerte als Duo mit einer schlechteren Resonanz enden. Ich habe es schon sehr oft erleben dürfen wie die Menschen gerade bei den freieren Auftritten als Duo sehr berührt waren. Wenn man erst einmal auf der Bühne steht scheint es eigentlich nicht die Frage zu sein ob man songorientiert ist oder nicht. Wichtig ist ob die Performance stimmt, egal ob mit oder ohne Sänger.


Wie schwierig ist mit eurer Musik abseits des "normalen" Mainstreams entsprechende Aufmerksamkeit in den Medien bzw. Radiopromotion zu erreichen?

Die Veränderung in der Musikindustrie und den damit verbundenen notwendig gewordenen intensiveren Promotion-Tätigkeiten ist auch für uns deutlich spürbar. Es stellt sich für mich so dar dass die Medien sehr stark auf "bewährtes" setzten und jedes Risiko scheuen neue Einflüsse in den Markt fließen zu lassen. In der Folge herrscht landauf und landab ein genereller Geschmacks-Konsenz, der davon bestimmt wird wer am meisten darin investieren kann seine Musik in den Medien präsentieren zu lassen. Für die sogenannte "Independent-Szene", die mit weit weniger Werbebudget auskommen muss bedeutet das in der Konsequenz sehr viel "Handarbeit". Viele Dinge können nicht delegiert werden und müssen ganz persönlich erledigt werden. Auf der anderen Seite hat das natürlich auch den Vorteil dass man als Schaffender viel mehr von der Verwertung des eigenen Werkes erlebt und auch ggf. auch mehr mitbestimmen kann. Man lernt all die Menschen persönlich kennen, die ein professionelles Interesse an der Musik von Centrozoon haben. So wird einem auch die Chance geboten, Leute von der eigenen Arbeit noch viel stärker zu überzeugen. Bei der unumstrittenen Übermacht der Majors kann man letztendlich nur nach einer Art "Guerilla-Taktik" vorgehen, bei der man mit wenigen, aber sehr gezielten Aktionen eine gewisse Präsenz in den Medien erreicht. Ich glaube aber dass sich inzwischen schon eine Eigendynamik entwickelt hat, die einem viel von ganz allein zuträgt.


Inwieweit hilft euch das Internet bzw. eure Homepage als Vertriebsmöglichkeit eurer Musik?

Das Internet war für und ist für Centrozoon ein wichtiges Werkzeug um effizient die eigene Musik zu vermarkten und kontinuierlichen Austausch und Verbindung zu den Freunden und Fans zu halten. Nur durch das Internet waren wir in der Lage auch internationale Kontakte zu pflegen. Dabei ist es für mich aber immer klar gewesen dass das Internet nur ein Weg darstellt, und nicht das Ziel meiner künstlerischen Verbreitung. Musik ist sollte meines Erachtens ein möglichst unmittelbares, intuitiv erlebbares Ereignis darstellen. Das Internet ist nur sehr bedingt in der Lage eine angemessenes Medium für Musik und Musikschaffende zu sein, ungeachtet der Möglichkeit jedes nur denkbare Medien-Format zur Verfügung zu stellen. Allerdings wäre es auch sehr ignorant diese Möglichkeiten nicht voll auszuschöpfen.


Kristian Selm © Progressive Newsletter 2005