CD Kritik Progressive Newsletter Nr.9 (06/1996)
High Wheel - There
(75:48, Ipso Facto Music, 1996)
Diese Besprechung wird ausnahmsweise von einer etwas längeren Vorgeschichte eingeleitet. Es begann bereits Ende März mit einem kleinen Ausflug des Hauptschmierfinks K.S. und Gastschreiberling T.J. südlich des Weißwurstäquators nach Bayern. Dort wurden am Tegernsee High Wheel im Studio bei den Aufnahmen zu ihrem neuesten Werk "There" besucht. Neben der exklusiven Vorpräsentation der neuen CD für Presse (K.S.) und Vertrieb (T.J.), bot sich nebenbei auch noch die Gelegenheit dem dortigen Nachwuchs zu lauschen. Von diesen Konzerten war der Auftritt von Opoosite in Miesbach die eigentliche Überraschung des Wochenendes. Die fünf Musiker im Alter zwischen 14 und 15 zeigten musikalisch und kompositorisch erstaunliche Fähigkeiten und waren den tags zuvor gehörten Pagemaster (Melodic Rock) und Nightingale (schwermetallischer Radau) zwar altersmäßig unterlegen, konnten dieses Manko aber in punkto Spielfreude und Ideenvielfalt locker überbieten. Zwar klingen ihre Lieder noch nach Stückwerk und der Gesang lässt auch noch zu wünschen übrig, aber was da an Ideen schlummert, kann diese Gruppe, sofern sie zusammenbleibt, zum Geheimtipp fürs kommende Jahrtausend machen. Also, Bandscouts, beware of Opposite! Aber genug abgeschweift, zurück zum eigentlichen Grund dieses Trips. Im Studio wurden die vorabgemischten Rohversionen einiger Teile des neuen Albums mit erklärenden Erläuterungen von Gitarrist und Sänger Wolfgang Hierl vorgestellt. Musikalisch härter, aber auch abwechslungsreicher, zeigten sie schon ansatzweise die neue Orientierung von High Wheel. Zum damaligen Zeitpunkt war es jedoch noch etwas schwierig, die einzelnen Teile ins Gesamtkunstwerk einzuordnen, doch ließ sich eine deutliche musikalische Weiterentwicklung der vier Bayern ausmachen. So lieferten die kurzen Eindrücke Tendenzen und Stimmungen, die aber noch nicht ausreichten, um sich nach nur einmaligem Hören eine gefestigte und fundierte Meinung zu ermöglichen. Deswegen hieß es leider bis zum offiziellen Veröffentlichungstermin und der Releaseparty der CD Ende Mai zu warten. Natürlich ist es nicht ganz leicht eine unvoreingenommene Beurteilung abzugeben, gerade wenn man eine Band persönlich kennt, aber ich versuche mal so objektiv wie möglich zu sein. Nachdem ich nun die neuen Lieder einmalig live und die Tonkonserve mehrmals intensiv angehört, und mich auch mit den Texten auseinandergesetzt habe, ist das Urteil über dieses Werk festgelegt. Kommen wir nun zur Vollstreckung: die Vorgänger "1910" und "Remember the colours" waren eigentlich nicht so mein Ding, mit "There" ist es jedoch anders. Das 75-minütige Konzeptalbum erzählt die Geschichte eines Selbstmörders, der sich nach seinem Tod in einer Parallelwelt außerhalb von Zeit und Raum, wie auch Himmel und Hölle, befindet. Verzweifelt wandert er durch diese Welt, und erreicht nach einer dramatischen Flucht sein Ziel in der Wiedergeburt. Dieser Geschichte merkt man schon an, dass die musikalische Umsetzung der einzelnen Stationen nicht gerade von Freude geprägt sein kann. So ist "There" wesentlich härter, komplexer, bombastischer, aber auch düsterer. Trotzdem findet man auch angenehme und fröhliche Melodien. Von der Liederanzahl kriegt der Longsong-Süchtige zuerst einen Schreck, da sich auf der CD 20 Lieder tummeln. Doch effektiv gibt es nur 9 Stücke (zwei mit über 16 Minuten Spielzeit) mit den entsprechenden Untertiteln. Der Gesamtsound ist nicht mehr ganz so in den 70ern verwurzelt, wie bei den anderen CDs. Vielmehr klingt das Album frischer und ausgereifter. Die musikalische Bandbreite ist sehr vielseitig und reicht von verträumten Melodien ("Terminal scorn serenade"), abgedrehten Instrumentalteilen ("In the tunnel"), Klanggemälden ("Brainstorm"), einem klassischen Stück ("Intermezzo"), akustischen Einlagen ("The saviour") über kräftigen Blues Rock ("Hate hounds") und Prog Metal ("Brain moles"), bis hin zu typischen Prog Elementen, wie sinfonisch-bombastischen Arrangements. Auch fetzige Keyboards und die obligatorischen Rhythmuswechsel in der nach oben offenen Breaks per minute-Skala (einfach ein genialer Witz, den ich von Harald Schmidt aus dem SRM klauen musste) finden ihren Platz. Daneben enthält "There" natürlich auch das prägnanteste Element von High Wheel, nämlich den Chorgesang des Dreigestirns Hierl - Kogler - Lobinger. Aber keine Kritik ohne Kritik. Da man ja immer ein Haar in der Suppe finden kann, landet man unwillkürlich beim Gesang. Sicherlich wesentlich besser als auf den meisten Produktionen dieser Musiksparte ist der mehrstimmige Gesang (daher gut), aber dem Leadgesang mangelt es doch an Volumen (daher schlecht), sorry Wolfi! High Wheel haben mit ihren CDs eine Möglichkeit gefunden, sich künstlerisch zu verwirklichen und stehen absolut 100% hinter ihrer Musik. Diese Einstellung und der Eindruck, dass sie wirklich eine Band und nicht nur eine Zweckgemeinschaft sind, spiegelt sich bei "There" sehr deutlich wieder. Ob alle bisherigen Fans der konsequenten Weiterentwicklung von "1910" und "Remember the colours" folgen möchten, kann ich nicht beurteilen. Jedoch sei allen, die mal wieder was Gutes aus deutschen landen hören möchten und sich dazu auch die Zeit nehmen, dieses Album wärmstens ans Herz gelegt.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 1996