CD Kritik Progressive Newsletter Nr.9 (06/1996)

Egoband - We are...
(60:51, Mellow Records, 1996)

Beginnend mit mehreren Gongschlägen, versucht die Egoband auf sich aufmerksam zu machen. Es folgt ein sehr schönen, neo-proggiges Intro. Die melodische Mixtur klingt altbekannt und eingängig, aber auch etwas vorausschaubar. Dadurch fehlt die spannungsgeladene Dramatik, wie sie z.B. von Aufklärung auf deren letztjährigen Debüt präsentiert wurde. Weiche, flauschige Keyboardteppiche machen sich sphärisch breit; das Klangspektrum reicht hin bis zu abgehobenen Space Rock. Doch der große Zerstörer der Musik ist der absolut nervige Gesang von Keyboarder und Sänger Alessandro Accordino. Sobald er den Mund öffnet, verschließen sich meine Ohren. Der italienische Akzent und die stimmlichen Qualitäten gehen auf Dauer echt auf den Geist. Zum Glück weiß Signore Accordino von seinen Qualitäten und schweigt öfters, leider aber nicht oft genug. Ein weiterer Kritikpunkt ist die stellenweise dünne Produktion, die das schlecht abgemischte Schlagzeug in den Vordergrund drängt und für ein unausgewogenes Klangbild sorgt. Ich gebe zu, das klingt jetzt schlimmer, als die vier Mannen aus Pisa wirklich sind. Deswegen nach so viel Kritik nun zu den positiven Gesichtspunkten. Die Egoband ist vor allem dann gut, wenn sie sich auf ihre instrumentalen Fähigkeiten besinnt. Deutliche Stärken liegen in den ruhigen Akustikteilen, von denen es auf "We are..." doch einige gibt. Eine seltsame qualitative Wandlung vollzieht sich während des Anhörens der CD. Ab ungefähr der Hälfte ist man fast der Meinung, eine andere Band zu hören. Was bisher wie Stückwerk klang, ist auf einmal stimmig und passend. Plötzlich spielt die erste Mannschaft, nachdem davor nur die Ersatzspieler ran durften. Die Kompositionen gewinnen an Klasse und man wird sogar zum Teil sehr komplex. Mit mehr Drive mischt man 70er Hard Rock, typischen Italo Prog, sowie Space und Neo Prog. Der Schlussteil des 10-minütigen "So far away" (übrigens ohne Gesang!) ist sehr abwechslungsreich, vorangetrieben von brachialen und komplexen Gitarren- und Keyboardattacken, mehr davon hätte der CD wirklich gut getan. Das wirkliche Highlight folgt aber noch. Im instrumentalen "Peace of mind" schweben sphärische, melodische Melodiewolken ruhig vorbei. Na also, es geht doch, wenn man nur will. Nun sind aber genug der Stile gewechselt, und mein Fazit sieht folgendermaßen aus: die Italiener wären mehr als guter Durchschnitt, doch der Gesang und Teile der ersten Hälfte der CD ziehen diese Band zurück ins engagierte Mittelmaß. Vom musikalischen Können her wäre mehr möglich, vielleicht gibt es davon beim nächsten Mal mehr zu hören.

Kristian Selm



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