CD Kritik Progressive Newsletter Nr.8 (03/1996)

Elend - Leçons de ténèbres
(56:45, Holy Records, 1994)

Wieder eine Band, bei der der Bandname programmatisch ist. Um es kurz zu machen: am Ende der Stunde Laufzeit fühlt man sich ziemlich elend, wobei das aber nicht (nur) auf die musikalische Qualität des Werkes zurückzuführen ist. "Leçons de ténèbres": ein echtes Drama in drei Akten. Vorhang auf zum Prolog, der Blick fällt aufs Cover, noch sind alle Chancen offen - CD gewendet: zwei Typen mit Geigen in der Hand und eich echt süüüüßes Mädel dazwischen - mit zittrigen Fingern wird die Plastikfolie entfernt. Der Blick auf die Besetzungsliste führt zu den ersten Zuckungen: Violine, Keyboards, Soprangesang (von dem süüüüßen Mädel eben), Gesang und ... Schreie! Äh-uh, das kann ja heiter werden. Nix Klampfe, dafür Tasten und ... Schreie??? Erster Akt: der Titelsong des Albums quält sich mit düsteren Tönen aus den Lautsprechern, kommt sogar echt geil, meine vorher positive Stimmung ertrinkt in einem Meer an Melancholie - die meiner Besucher auch. Interessanterweise ist sogar der Gesang wirklich angenehm, echt melodiös und lateinisch (etwas eingerostet, daher keine Übersetzung). Bei "Chanting" geht es dann in englisch weiter, aber komisch, der Titel klingt wie der erste - stilistisch eine Mischung aus New Age und Gothic. Und dann - ich glaubte schon gar nicht mehr daran - wird wirklich geschrieen! Jawoll, Alexandre Iskandar versucht den kreischenden Brückenschlag zwischen Horrorfilm und Lamento, bei mir fällt zunächst einmal der Vorhang. Zweiter Akut: nach weiterem Geschrei in "Into bottomless perdition", da den ersten beiden Titeln irgendwie recht ähnlich ist, darf das süüüüße Mädel bei "Deploration" ein wenig zwischen die Kirchenorgel und die ätherischen Klänge flöten, bevor es mit Sprechgesang weitergeht - und dann schreit unser Alexandre in der Kirche! Death Metal ist eine Wonne dagegen - vielleicht wurde der Band aber während der Aufnahmen öfters die Studiorechnung vor die Nase gehalten - da muss man ja kreischen! Vorhang bitte! Letzter Akt: auf weiteren 5 Titeln wird violiniert, gekeyboardet und new-aget. Die Stimmung des geneigten Hörers ist nach 56 Minuten trübe und dem Selbstmord nahe, Abwechslung wird bei Elend nämlich klein geschrieben! Das süüüüüße Mädchen darf nur ganz selten was singen, Alexandre darf seinen Frust da etwas häufiger ausleben. Am Schluss bin ich allein - meine Freunde sind gegangen. "Ruf uns nie mehr an" haben sie mir einem blutigen Zettel hinterlassen - welche ein Elend!!! Also: wer auf depro-fanatische Klänge mit nicht allzu viel Abwechslung steht (und auch Gitarren eher Scheiße findet), dem sei dieses experimentelle Werk ans Herz gelegt. Das süüüüße Mädchen heißt übrigens Eve Gabrielle Siskind - und wer ihre Telefonnummer möchte, muss die CD kaufen, Geschrei hin oder her.

Stefan Kost

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© Progressive Newsletter 1996