CD Kritik Progressive Newsletter Nr.8 (03/1996)
Industrial Soup - A flagrant display of subtlety
(52:27, Privatpressung, 1995)
Gleich zu Anfang muss ich mal sagen, dass die Entscheidung, Devil Doll als Empfehlung und Nr.1 zu bringen, wirklich nur haarscharf von diesen gewonnen wurde. Ich persönlich hätte nämlich diese Gruppe hier aufs Podest gehievt, denn die drei Amis haben meiner Meinung nach das interessanteste und witzigste Gesamtkunstwerk seit langem abgeliefert. Und auf welche empirisch nachvollziehbaren Tatsachen gründet sich diese, meine These? Nun, ganz einfach: komplexe, teils leicht avantgardistische Musik und ideenreiche und witzige Texte, wie ich sie noch nie beim Prog zu Ohren bekommen habe. Zusammen ergibt dies einen Synergieeffekt von ungeahnten Ausmaßen. Musikalisch ist das Ganze sehr keyboardbetont, denn Mastermind David O'Neal, dessen Großhirnrinde anscheinend die meisten der kranken Ideen entsprungen sind, gibt sich an den Tasten die Ehre und spielt Melodie und Rhythmus. Außerdem zeichnet er sich noch für den Bass verantwortlich und dann gibt's da nur noch Drummer Erik Swenson. Jetzt darf man sich darunter aber beileibe nicht so ein typisches Prog Keyboardalbum vorstellen, mit klassischen Einflüssen oder irgendwelchen umherspringenden Hobbits und Drachen. No way! Die meist schnellen und kurzen Nummern sind eher schräg dargeboten, mit Einflüssen von Avantgarde bis Jazz. Im beiliegenden Presseinfo werden als Einflüsse 70er Prog, 80er New Wave und 90er Thrash Funk genannt. Dazu kommen dann noch die wirklich genialen Texte, vorgetragen vom sprechenden MG Dennis Rossman. Diese werden nicht gesungen, sondern teils in halsbrecherischer Geschwindigkeit zur Musik "Dazugesprochen". Auch hier gibt es mit Les Claypool von Primus (Vorgruppe von Rush bei der letzten Tour) einen recht passenden Vergleich. Und da wären wir schon beim zweiten Punkt, der diese Scheibe so hörenswert macht. Diese Typen müssen wirklich ganz schön abgedreht sein, denn was denen da so alles an Themen für Lieder einfällt, ist wirklich enorm. Da werden die drei bis vier Minuten Stücken ganze Geschichten und Missgeschicke rezitiert. So berichtet Mr.Rossman in "Tiny bladder" (kleine Blase) wie er beim Footballspiel in der Halbzeit schon sieben Bier intus hat, seien Blase aber nur drei verkraftet und er nun deshalb ganz hinten in einer riesigen Schlange vorm Stadionklo steht und sich der Druck langsam aufstaut. Dabei gehen ihm schon die Schlagzeilen des nächsten Tages durch den Kopf, in denen zu lesen ist, wie er eine Blasenexplosion kurz vor Erreichen des ersehnten Örtchens erleidet. Peinlich, peinlich! Oder im Stück "DMV" wird die Odyssee eines Bürgers durch eine US Behörde erzählt, bei denen der Held ewige Wartezeiten übersteht, um dann von einem unfreundlichen Beamten zu erfahren, dass er das Formular 42.G7-2 falsch ausgefüllt hat ("it's not even signed by Jimmy Carter") und wieder ans Ende der Schlange verbannt wird. Im Original ist das natürlich noch mit englischen Umschreibungen und Vokabeln ausgeschmückt, bei denen jeder Leser, der auf anspruchsvolle englische Texte steht, seine helle Freude dran haben wird. Noch ein Beispiel gefällig? In "Burrito of love" finden wir uns in einem Hörsaal, Fach Psychoanalyse versetzt. Der Prof erläutert uns den Fall von Bob, einem armen Würstchen, der durch falsche Erziehung seiner Eltern, die auf Gesundheitskost standen, bei seinem ersten Kontakt mit einem Burrito in der Schulkantine einen orgasmusähnlichen Zustand durchlebte und von da an auf diese sexuell fixiert ist. An einem tragischen Morgen des Jahres 1988 überfällt er dann ein mexikanisches Fast Food Restaurant und hat, als ihn die Polizei verhaftet, bereits 13 Burritos für eine Orgie in seine Gewalt gebracht. Abschließend gibt uns der Prog dann die Hausaufgabe, uns eine Behandlung für Bob auszudenken. Einfach perfekt! Könnte von Monty Python sein. Diese englische Komikertruppe wird, so weit ich das richtig erkannt habe, später auch noch kurz zitiert, indem eine Melodie aus "Monty Python and the holy grail" (dt: Die Ritter der Kokosnuss) gespielt wird, unterlegt mit dem typischen Pferdegeklapper aus halbierten Kokosnüssen. Folgerichtig taucht beim Drummer und "Sprecher" (unter car harn, toilet und dead cat) diese Frucht auch als Instrument auf. Zusätzlich ist das Booklet mit allen Texten (und das sind nicht wenige) und bescheuerten Comiczeichnungen illustriert. Ohne angeben zu wollen, kann ich sagen, dass sich also meine im letzten Newsletter geäußerte Meinung, dass momentan die Schmiede des wirklich innovativen Prog in den U.S.A. steht, schon wieder mal bestätigt hat. Wer bis jetzt also noch nicht überzeugt ist, in dieses wirklich andere Kunstwerk wenigstens mal reinzuhören, dem kann ich nur sagen: ihr verpasst was! Allerdings nur die, die auch auf solche abgedrehte Art von Musik und Humor stehen, denn obwohl Robert Berry (ELP-Dunstkreis) die Scheibe produziert hat, wird, wer "normalen" Prog hören will, hier nicht bedient.
El Supremo
© Progressive Newsletter 1996