CD Kritik Progressive Newsletter Nr.80 (04/2014)
Spaltklang - In between
(58:44, AltrOck, 2013)
Die Axt ist neu geschliffen. Hört ihr, wie sie über den Beton gezogen wird? Freddy Kruger ist wieder da. Aber nicht hier. Dies ist Markus Stauss mit Band und dieser Spaltklang ist runderneuert. Markus Stauss legte unter dem Bandnamen Spaltklang 2002, 2004, 2006 und 2009 vier Alben vor, die noch nicht so ausgereift sind wie "In between", obschon viel gut abgefahrene Stauss-Musik enthalten, das Saxophon kocht die Rocksuppe auf Jazzkohlen. Viel früher, in den 1980ern bis Anfang der Neunziger war der Saxophonist Markus Stauss mit Überfall (von denen Pit Kayser in "A Suite" als Gast vorbeischaut) aktiv gewesen, die zwischen Jazzrock, No Wave und Progressive Rock kantig ungewöhnliche, eindrucksvolle LPs produzierten. Daneben spielte Markus Stauss (neben zahllosen Engagements) in Yugen und organisierte mit Francesco Zago (Yugen, Kurai, empty days, etc.) das freitonale Avantgarde-Duo Zauss. Die aktuelle Band ist mit dem alten Spaltklang durch Markus Stauss und Rémy Sträuli verwandt. Oberflächlich betrachtet kann "In between" unter Jazzrock laufen. Doch da sind zahllose Stilmittel, die in den Songs zusammenlaufen: knackiger Rock, progressive Komplexpassagen, Jazz, der fast Ayler-Charakter hat und improvisative Freigeistigkeit auslebt, groovig-kantiger Rock-Jazz mit luftig virtuosen Trompete-Saxophon-Unterhaltungen, von saftiger Rockband auf Draht und Lauen gehalten - viel mehr. Die Band taucht in sphärische Träumereien ab, löst sich daraus und kämpft sich zum deftigen Rock zurück. In den 5 rein instrumentalen Songs, von denen der Titelsong mit 9:32 Minuten der kürzeste ist und "Ural Fragment" mit 13:15 der längste, geben sich krasse Gegensätze die Hand. Experimentelle Phasen klingen wie reine Improvisationen, sind dafür allerdings sehr markant und flüssig, die ganze Band arbeitet sich gemeinsam in die Themen ein, was wie emotionale Wissenschaft klingt. In aller Eigenart und Ungewöhnlichkeit haben die 5 Songs erstaunlich melodische Grundthemen, die in krassen, lauten, bisweilen harschen Bandimpros aufgehen, sich wie ein organisches Gefüge in legeren Rock, saftigen Jazz und expressive Virtuosität entwickeln, einzelnen Instrumenten Soloraum geben (vor allem Markus Stauss' großartiges Saxophon-Spiel) und sich nicht in Schubladen ausruhen, sondern stets hochaktiv von einem Punkt zu seinem Gegenüber wandern. Richard Koch (tr), Francesco Zago (g, loops), der gute alte (und ewig junge) Rémy Sträuli (dr) und Christian Weber am Kontrabass machen Markus Stauss Studio und Haus lebendig und laut. Das Bandarrangement ist so flüssig und saftig, dass die Songs gut ins Ohr gehen und alle aufregende Überraschung (für geübte Hörer) gut nachvollzogen werden kann. Vergleichbar ist der Spaltklang kaum, selbst die vier Vorgängeralben sind nicht so komplex und virtuos ausgebaut, und schon die zeigen, wie ungewöhnliche, kernige Musik aus Rock und Jazz klingen kann. Jazzfreaks, AvantProg-Abhängige, AltrOck- und Stauss-Jünger werden ihre Freude haben. Leichte Muse ist anders. Und doch, wer progressiv schräge Kunst gewöhnt ist, wird die gewisse Leichtigkeit lieben, die in aller kantigen Expressivität liegt.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2014